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Eddie Murphy über alte Schwulenwitze: «Ich war ein Arschloch»

Über die Comedy-Sendung «Delirious» von 1983 wird wieder gestritten, seit sie bei Netflix neu aufgetaucht ist und an eine Zeit erinnert, wo über «Schwuchteln» und Aids anders gelacht wurde als heute

Eddie Murphy
Eddie Murphy 1983 in der Comedy-Sendung «Delirious» (Foto: Netflix)

Im Buch «Queer Cinema» werden  bei YouTube wieder aufgetauchten Filmdokumente aus der Vergangenheit als «Flaschenpost» bezeichnet, die einen wichtigen Einblick in queere Geschichte erlauben. Eine solche Flaschenpost ist auch die Comedy-Sendung «Delirious» (1983), neu bei Netflix im Angebot mit Komiker Eddie Murphy. Der muss sich nun wegen politisch inkorrekter Witze über Schwule und Aids verteidigen.

Der populäre Hollywoodschauspieler und -komiker («Beverly Hills Cop») stand Anfang der 80er-Jahre am Beginn seiner spektakulären Karriere. In dem Comedy-Spezial «Delirious» eröffnet er die Sendung vor gröhlendem Live-Publikum mit einer fünfminütigen homophoben Beschimpfung. Dabei sagt er u. a. dass «Schwuchteln» («faggots») ihm nicht auf den «Arsch» schauen dürfen, wenn er auf der Bühne steht. Und er behauptet, Heteromänner könnten Aids von ihren Freundinnen bekommen, falls diese Schwule küssen. Ähnliche Witze hat Murphy auch 1987 in der Sendung «Raw» gemacht.

Zu den Sendungen und Witzen hatte sich Megastar Murphy bereits 1996 geäussert und erklärt, dass er es zutiefst bedaure, anderen Schmerz zugefügt zu haben. «Genau wie die restliche Welt bin ich heute besser informiert über Aids. Ich weiss, wie ernst das Thema Aids weltweit ist. Ich weiss, dass Aids nicht lustig ist. Wir schreiben das Jahr 1996 und ich kenne heute die Hintergründe zu Aids. Ich bin nicht homophob, und ich bin auch nicht Anti-Gay. Meine Frau und ich haben viel Zeit und Geld gespendet für die Aids-Forschung.»

Damit war das Thema für lange Zeit vom Tisch. Bis es nun via Netflix neu aufgetaucht ist. Denn viele jüngere Queers sehen die Sendung ohne historisches Hintergrundwissen und reagieren entsetzt.


Ich war ein Arschloch
Das hat dazu geführt, dass Eddie Murphy der New York Times diese Woche ein Interview geben musste, um die Sachverhalte klarzustellen. Da heisst es: «Ich war jung und musste ein gebrochenes Herz verarzten, ich war ein Arschloch.»

Mit Blick auf die heutige Situation, wo Comedians sich rechtfertigen müssen für jeden Witz und jede Anspielung, die irgendwen «verletzten» oder «ausgrenzen» könnte, sagt er: «Ich habe das alles durchgemacht, es ist also nicht mehr furchteinflössend … Bei all dem, was heute diskutiert [und Kollegen vorgeworfen] wird, kann ich nur sagen: Hey, willkommen im Club.»

Trotzdem ist es noch einmal etwas anderes – im Vergleich zu 1996 – wenn sich eine wütende Menge mit Hashtag-Attacken auf einen stürzt und Dinge vorwirft, die in der Reduktion auf Reizwörter keine nuancierte Diskussion zulassen. Und die potenziell das Karriereende bedeuten können, wie Justin Trudeau gerade erleben muss wegen eines alten Fotos, wo man ihn als Aladin kostümiert sieht, mit dunkler Farbe im Gesicht. Obwohl «Blackfacing» nicht gesetzlich verboten ist, nennen viele Aktivisten Trudeau einen Rassisten und fordern seinen Rücktritt als Premierminister auf Basis von moralischer (!) Entrüstung.


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Zu seinen Aids-Ausfällen in den 1980er-Jahren sagt Murphy heute: «Ich kenne viele Menschen, die mir sehr nahe standen, die an der Krankheit gestorben sind. Es gibt wohl kaum jemanden, der nicht irgendwie von dieser Krankheit betroffen war. Jeder kennt jemanden, der krank war. Schwarze sind von der Krankheit sogar noch stärker betroffen gewesen als jede andere Gruppe von Menschen auf diesem Planeten.»

Schwulenfeindlicher Müll zum Entsorgen
Doch obwohl Murphy sich schon längst von diesen Sendungen distanziert hat, werden sie von Netflix-Nutzern jetzt aus dem politisch-aktivistischen Bewusstsein von heute neu diskutiert und bewertet. Ein Nutzer schrieb: «Homophober Scheiss! Das muss sofort von der Seite entfernt werden. Ich bin angewidert und kann davon nicht mehr als fünf Minuten schauen. Nicht lustiger, schwulenfeindlicher Müll!»

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Jemand anderes meinte: «Der homophobste Stand-up Act, den ich je gesehen habe. Ich kann kaum glauben, was er da für Blödsinn über Aids erzählt. Das sind solch hasserfüllte 1980er-Jahre Vorurteile, die man da mit voller Wucht abbekommt.»

Das ist wohl wahr. Aber diese Vorurteile sind auch Teil der LGBTIQ-Geschichte. Es gibt für sie viele Gründe, und das was Eddie Murphy damals sagte, spiegelt eine gesamtgesellschaftliche Stimmung, mit der es sich auch heute lohnt auseinanderzusetzen. In dem Sinn ist das Netflix-Angebot, genau wie die diversen YouTube-Filmschnipsel mit Sylvia Rivera und anderen, eine Flaschenpost aus der Vergangenheit, die man nicht als schwulenfeindlichen Müll entsorgen, sondern im Gegenteil aufmerksam studieren sollte.

Denn in der Reaktion auf solche Sendungen, Sprüche und Zeitungsberichte ist damals eine ganze Generation stark geworden. Und der «Müll» hat viele schwulen Männer – ich nehme mich hier nicht aus – über ein Jahrzehnt begleitet und geprägt.

Die Altvordern in den Boden stampfen
Heutige Massstäbe von politischer Korrektheit auf die frühen 1980er-Jahre anzuwenden, ist in gewisser Weise ahistorisch. In einem Interview zu diesem Thema sagte Wolfgang Theis, Gründer des Schwulen Museums, unlängst: «Es ist immer einfach, mit heutigem Erkenntnisstand die Altvordern in den Boden zu stampfen. Das bringt jedoch nichts, ausser Selbstüberhöhung.  Es ist besserwisserisch.» (Das Interview erscheint in der November-Ausgabe von MANNSCHAFT – hier geht es zum Abo Deutschland und hier zum Abo Schweiz.)

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Den 58-jährigen Eddie Murphy nun wegen dieser Sendung(en) in den Boden zu stampfen, bringt keine neuen Erkenntnisse, eher verhindert es, dass man zu Erkenntnissen darüber kommt, wie viel sich seit den 80ern verändert und verbessert hat.

Übrigens hat Murphy einen Vertrag mit Netflix unterschrieben, dass er nächstes Jahr ein neues Comedy-Spezial drehen wird. Man darf gespannt sein, was für Witze dann enthalten sein werden. Sein neuer Film «Dolemite» kommt am 25. Oktober auch bei Netflix raus.

 


Guido Maria Kretschmer

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