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Konversionstherapien gehören verboten

In der Schweiz soll mit einer Motion erreicht werden, dass «Homoheiler» gestoppt werden – warum das überfällig ist, dazu unser Samstagskommentar

Kirchgemeinderat Melchnau
Symbolbild (Foto: Pixabay)

Fühlten alle Menschen gleich, wären sie keine Menschen, sondern formbare Fleischklumpen. Christliche Verfechter*innen der Konversionstherapien scheinen sich genau das zu wünschen: LGBTIQ-Menschen per Hamburgerpresse in das eigene von Angst und Unsicherheit geprägte Weltbild zu stopfen und nach ihrem Geschmack durchzugrillen. Unser Samstagskommentar* mit einem Aufruf zu wahrer Nächstenliebe.

Was zunächst übertrieben klingt, trifft in Wahrheit aber zu: Bei Konversions- bzw. Reparativtherapien wird das Gehirn verzweifelter LGBTIQ-Menschen teils jahrelang auf den Grillrost geschickt. Bloss weil ihre Glaubensgemeinschaften ihre sexuelle Neigung und Identität als eine unnatürliche und folglich behandelbare Störung betrachten. Obwohl alle führenden psychiatrischen und psychologischen Fachgesellschaften gegen solche Umpolungsversuche sind, weil sie Betroffene massiv schädigen können, sind solche Konversionstherapien auch in vermeintlich offenen Staaten wie der Schweiz oder Deutschland bittere Wirklichkeit. Für die Schweiz will Rosmarie Quadranti will mit einer Motion erreichen, dass Konversionstherapien an homosexuellen Jugendlichen gestoppt werden.

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Zwar werden diese Therapien nicht in allen Freikirchen oder Glaubensgemeinschaften offensiv beworben, aber den Betroffenen im Rahmen der Seelsorge nahegelegt. Wer dem Angebot jedoch nicht folgt, muss mit Ausgrenzung, Anfeindung oder gar einem Ausschluss aus der Gemeinschaft rechnen – wie das Joel Heller (Name geändert) der Sonntagszeitung vom 16. Juni 2019 schildert. Demnach habe ihn die Freie Evangelische Gemeinde (FEG) nicht zur Therapie gezwungen. Er habe sich jedoch dem starken sozialen Druck gebeugt und während zehn Jahren versucht, seine Homosexualität wegzutherapieren.

Fadenscheinige Freiwilligkeit
Die Freiwilligkeit, sich einer solchen Konversionstherapie zu unterziehen, ist mehr als nur fadenscheinig: Als Heller nach seiner zehnjährigen Gehirnwäsche endlich für sein Schwulsein einstand und sich vor sechs Jahren auf Facebook outete, erntete er alles andere als Nächstenliebe seiner christlichen Freunde und Gemeinde. Stattdessen fluteten diese sein Postfach mit Bibelzitaten, wonach Homosexualität eine Sünde sei. Auch die Freikirche, bei der er die Pfarrerausbildung absolvierte, verbot ihm fortan, Konfirmanden zu unterrichten und Sonntagspredigten zu halten.


Verfechter*innen der Konversionstherapie betonen dabei, dass sich die sexuelle Orientierung bei manchen Menschen ändern könne und nicht in Stein gemeisselt sei. Einer dieser Anhänger ist Rolf Rietmann, ein freikirchlicher Theologie, Sexualberater und Leiter der Organisation «Wüstenstrom». Er habe seine sexuelle Orientierung selbst als konflikthaft erlebt: Dank einer Reparativtherapie ist er seinen Aussagen zufolge heute stolzer Vater zweier Kinder und biete Hilfesuchenden in einer ähnlichen Situation seine Unterstützung. Überdies fühle er sich heute sexuell ausschliesslich von Frauen angezogen, wie er der Sonntagszeitung zu Protokoll gibt.

Selbst wenn sich Rietmanns Biografie so abgespielt hat, ist es höchst fahrlässig anzunehmen, dass alle homosexuell fühlenden Männer mit ein wenig Fussball, Balgereien und Umarmungstherapien in Heteros verwandelt werden können. Denn Fakt ist: Schwulsein ist weder eine Krankheit noch ein vorübergehendes Phänomen, sondern eine der vielen Varianten menschlicher Sexualität – so bunt und vielseitig wie das Leben selbst.

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Ein weiterer Fakt ist, dass etliche männliche Jugendliche in der Pubertät gleichgeschlechtliche Erfahrungen machen und dann als Erwachsene heterosexuell leben. Und das finden sie ganz ohne Therapien heraus. Oder wie später erwachsene Männer ihre Bi-Neigung entdecken und trotz Frau und Familie Sex mit Männern haben – wie ein Blick in die Arbeit verschiedener Checkpoints für sexuelle Gesundheit oder Dating-Apps zeigt. Oder gemeinsam mit ihrer Frau in Swingerklubs gehen.


Es gibt kein Schwarz oder Weiss, kein Gut oder Böse, weil Menschen nicht ein Entweder-oder sind, sondern feinstofflicher, vielschichtiger, widersprüchlicher und komplexer, als es je eine Religion oder Wissenschaft in klar abgrenzbare Kategorien fassen könnte.

Im Namen Gottes gegen die Menschlichkeit
Die inneren Konflikte, die LGBTIQ-Menschen vor einem Coming-out erleben, hängen nämlich nicht mit ihrer sexuellen Neigung und Identität zusammen, sondern vielmehr mit der abwertenden Haltung ihnen gegenüber: Sowohl stark religiöse als auch phallokratische Gesellschaften reden einem ein, widernatürlich, minderwertig, krank, sündhaft oder falsch zu sein. Bei stark gläubigen Menschen oder Menschen aus patriarchalischen Gesellschaften verursacht das extreme Gewissensbisse, weil sie befürchten müssen, von ihrer Gemeinschaft und Familie verstossen, verfolgt oder vergewaltigt werden.

Sieht so eine «Fach»kommission aus, Herr Spahn?

Wie beim brutalen «corrective rape» in Südafrika, der sogenannten «korrigierenden Vergewaltigung», die lesbische Frauen gemäss den Phallokraten «auf den Geschmack» und damit auf den «richtigen Weg» bringen soll. Als wäre das nicht grausam genug, stehen in einigen Ländern auch Lynchjustiz, Ehrenmorde oder die Todesstrafe auf der Liste. Und das alles im Namen Gottes oder einer kruden Wertehaltung und gegen die Menschlichkeit. Bloss weil Ideen und Ideologien schützenswerter zu sein scheinen als Menschenleben.

Meinungs- und Religionsfreiheit haben ihre Grenzen
Fern jeglicher Kreationstheorie zeigt uns einmal mehr die Tierwelt, wie schöpferisch die Natur ist und wie egal ihr Religionen und Ideologien der Menschen sind: Ob schwule Pinguine, die Nester bauen und als Pflegeeltern Eier ausbrüten, oder die schwulen Flamingos Lance und Freddie, die seit Jahren glücklich im Zoo von Denver leben. Oder wie 1500 andere Tierarten, die gleichgeschlechtliche Partnerschaften pflegen.

Würden wir die Tiere zu ihrem Sexualverhalten befragen, würden sie uns vermutlich den Vogel zeigen

Hatten die alle auch eine überdominante Mutter und einen passiven Vater, der ihnen zu wenig Zuneigung geschenkt hatte, wie das eines der vielen abstrusen Argumente von Konversionstherapeut*innen ist? Oder sind sie schwul geworden, weil sie Flamingo- oder Bonobo-Pornos konsumiert haben? Würden wir die Tiere zu ihrem Sexualverhalten befragen, würden sie uns vermutlich den Vogel zeigen und sagen, dass sie so geboren sind, wie sie sind.
Im Gegensatz dazu kommt weder ein Tier noch ein Mensch religiös zur Welt. Wäre im Umkehrschluss nun eine Umpolung von religiösen Menschen möglich? Letztlich können die Menschen ja wählen, welchem Glauben sie anhängen. Ergo sollte auch eine Umpolung zu Atheisten oder Agnostikern denkbar sein. Gibt es Therapie-Camps nach dem Motto «Ich bin religiös. Wer polt mich um und rettet meine Seele?»?

Nein. Denn die Religionsfreiheit ist verfassungsmässig geschützt. Genau wie die Würde und das Leben jedes Menschen. Darum haben Meinungs- und Religionsfreiheit genau hier ihre Grenzen. Wo sie nämlich die Würde und das Leben eines Menschen antasten, verletzen oder gar vernichten. Und darum sind Konversionstherapien zu verbieten. Jesus würde es auch tun. Zumindest hat er sich Zeit seines Lebens für das Leben anderer eingesetzt und deren Würde gewahrt. In diesem Sinne: Dona nobis pacem – et intelligentiam!

*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.


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