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Homophob oder nur borniert? Die «Psychologie heute»

Unser Autor hat nach vielen Jahren entnervt und enttäuscht sein Abo gekündigt – einer der Hauptgründe: Man ignoriert LGBTIQ-Themen beständig

Foto: Pixabay

Borniert oder knallhart zielgruppenzentriert: Über die fast unscheinbare Homophobie der «führenden deutschen Psychologiezeitschrift» – ein Gastbeitrag von Stefan Hölscher

Vor kurzem traf ich einen alten, sehr heterosexuellen Schulfreund von mir in Berlin. Als wir durch Schöneberg gingen, fragte ich ihn, ob es in Ordnung wäre, wenn wir kurz bei zwei schwulen Shops vorbeigehen würden, in denen ich etwas nachschauen bzw. kaufen wollte. Das sei o.k., sagte er und so kamen wir zuerst zu einem Shop für Bekleidung und andere Utensilien. Mein Freund meinte: «Ich warte hier mal draussen», was er auch tat. Anschliessend ging es noch zur nahe gelegenen Buchhandlung Prinz Eisenherz.

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Mein Freund meinte, er gehe mal in der Zeit gegenüber einen Kaffee trinken und blättere ein bisschen in irgendeinem Journal. Ich sagte, das könne er problemlos auch in der Buchhandlung haben und müsse noch nicht mal was für den Kaffee bezahlen. Mein Freund, der Professor und Leiter einer grösseren Einrichtung an einer deutschen Universität ist, erwiderte: «Da muss ich jetzt nicht rein. Außerdem lese ich zur Zeit gar keine Bücher.“ Und so ging er ein wenig gestresst wirkend in das nette (und übrigens nicht ganz unschwule) Café gegenüber, wo er sich an einen Tisch nach draussen setzte.

Wäre hier ein Exemplar von Psychologie Heute verfügbar gewesen, er hätte sich sicher sofort bestens wieder entspannen können, denn erstens prangen auf dem Cover dieses Journals immer sehr achtsam und bedeutungsschwanger dreinschauende Frauen in den besten Jahren (in denen mein Freund sich auch befindet), und zweitens ist dieses Journal mit grösster Wahrscheinlichkeit gänzlich homofrei. Womit wir beim Thema wären: Psychologie Heute, Gestern und Vorgestern, das Psychologiejournal, das sich selbst als «das führende deutschsprachige Magazin für Psychologie und die benachbarten Wissenschaften“ tituliert und in erstaunlich hohem und nicht selten lupenreinem Mass frei ist von Themen, die die Psychologie nicht-heterosexueller Menschen betreffen. Ein Journal mit ziemlich konsequenter LGBTIQ-Abstinenz.


Eigentlich mochte ich Psychologie Heute bis vor einiger Zeit ziemlich gern. Ich lese es als Abonnent seit gefühlten 100 Jahren und fand viele Artikel darin interessant und anregend. Da ich allerdings über das weitgehende Fehlen von LGBTIQ Themen in diesem Journal, das ja seinem Anspruch nach die ganze Bandbreite psychologischer Themen betreffen soll, im Laufe der Zeit immer mehr gestolpert war, schrieb ich in den vergangenen Jahren mehrfach durchaus wertschätzende Mails an die Redaktion, z.B. im Jahr 2017:

„Sehr geehrte Redaktionsteammitglieder von Psychologie Heute, als langjähriger Leser möchte ich Ihnen zumindest nachträglich zu Ihrem Jubiläum der 500. Ausgabe gratulieren. Wir – meine Frau und ich (beide Psychologen) – lesen Psychologie Heute immer wieder gern und mit Gewinn. Wir finden in jeder Ausgabe viel Interessantes für uns. Daher möchten wir Ihr Magazin nicht missen.Einen kleinen Kritikpunkt von mir hatte ich neulich schon einmal in anderem Zusammenhang angemerkt: In Ihrem Magazin tauchen LGBTIQ Themen faktisch nicht auf; so sehr nicht, dass man denken könnte, dass das kein Zufall ist. Aber eine leicht homophobe deutschsprachige Psychologie Zeitschrift im 21. Jahrhundert ist auch nur schwer vorstellbar. Ihr Nichtthematisieren dieses Felds bleibt daher für mich ein Rätsel – allerdings eines mit klarem Optimierungspotenzial bei Ihnen.“

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Auf diese wie auch auf ähnliche andere Mails von mir, erhielt ich dann von Seiten der Redaktion immer recht freundliche Antworten, in denen betont wurde, dass man für diesen Hinweis sehr danke, dass man grundsätzlich sehr aufgeschlossen sei für solche Themen und das Ganze nun mal in der Redaktion besprechen wolle, um es irgendwie anzugehen. Bei dieser Ankündigung blieb es dann aber auch, wie wir vor etwa einem Jahr ja schon mal berichtet haben. 


Dann schien allerdings plötzlich sehr frischer Wind in die Sache zu kommen. Es meldete sich nämlich ebenfalls sehr freundlich die zu dem Zeitpunkt neue Chefredakteurin von Psychologie Heute, Dorothea Siegle bei mir und schlug vor, mal zu telefonieren. Das taten wir und hatten ein richtig nettes Gespräch miteinander, in dem Siegle mir mitteilte, dass die Hauptleser*innengruppe ihres Journals studierte, gut bürgerliche Frauen, häufig mit pädagogischem Hintergrund im besten Lebensalter seien und dass sie selbst «natürlich sehr aufgeschlossen“ für LGBTIQ Themen wäre und nun darum bäte, von mir Ideen für Themen, Ansatzpunkte und vielleicht auch mögliche Autor*innen für dieses Feld zu bekommen.

Und all das lieferte ich ihr dann auch: diverse Themenideen (zum Beispiel gesellschaftliche Änderungen im Selbstverständnis sexueller Orientierung, Umgang mit Bisexualität, Coming-out Herausforderungen heutzutage, «Out in the Office“, Identitätsentwicklung in Regenbogenfamilien etc.), Links zu psychologisch orientierten Artikeln zu solchen Themen und Namen von möglichen Ansprechpartner*innen und Autor’innen. Und dann wartete ich. Und wir schrieben erneut – sehr freundlich. Es wurde mir eine Ansprechpartnerin in der Redaktion für LGBTIQ Themen genannt und abermals schickte ich Themenvorschläge und Ansatzpunkte. Und dann wartete ich wiederum – bis jetzt. Denn nichts geschah.

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So schrieb ich Anfang April 2019 erneut an die Chefredakteurin, und dieses Mal ein klein wenig knackiger als all die vielen Male zuvor: «Mein Eindruck ist leider: Beiträge zu Themen, die nicht-heterosexuelle Lebens- und Liebesformen und Dynamiken … aus psychologischer Sicht betreffen, kann man bei Ihnen nach wie vor mit der Lupe suchen … Positiv sagen kann ich Stand heute: LGBTIQ Themen sind bei Ihnen – anders als viele Jahre lang zuvor – nicht mehr komplett inexistent. Sie tauchen jetzt auch mal mit auf: allerdings vor allem als Randnotiz, die so klein ist, dass man sie auch problemlos überlesen kann…

Mein Eindruck ist leider: Psychologie Heute schmort nicht zu knapp im eigenen Saft – auch unter Ihrer Leitung. Meine Frau, die ja nach dem, was Sie mir am Telefon letztes Jahr mal sagten, voll in Ihre Hauptzielgruppe fallen müsste – weiblich, in den besten Jahren, Akademikerin (in dem Fall sogar Psychologische Psychotherapeutin und Supervisorin) – findet, die Artikel in Psychologie Heute kreisten immer wieder um die gleichen Themen. Und zum Thema Titelbilder darf ich meine Frau zitieren: «Ich kann diese ewig gleichen Tussen auf dem Cover nicht mehr sehen.» Dem letzteren Punkt schliesse ich mich zu 100% an.

Vielleicht waren diese hammerharten Auswürfe zu heftig für die gewiss auf achtsame Feinfühligkeit gepolte Chefredakteurin: der queere Querulant als notorischer Dauerstörer der wohlverdienten Redaktionsruhe, dem nur noch mit strafender Nichtbeachtung beizukommen ist. Oder Frau Siegle, die ja noch nicht allzu lange bei der zum Beltz Verlag gehörenden Zeitschrift in Amt und Würden ist, ist einfach noch gar nicht lange genug dabei, um so oft die Artikel zu «Mehr Gelassenheit im Alltag» oder «Souverän bleiben im Konflikt» gelesen zu haben, dass sie schon mit ungetrübter Souveränität und innerer Grandezza auch auf derlei unverschämte Entgleisungen wie die von mir zu reagieren gelernt hätte, so dass ihr nur die klassische Rolle bleibt: die als beleidigte Leberwurst. Vielleicht hat sich aber auch das gesamte Redaktionsteam von Psychologie Gestern und Vorgestern zu einer wochenlangen Klausur zurückgezogen, um über all die LGBITQ Themen zu schreiben, die in den letzten Jahrzehnten etwas zu kurz gekommen sind.

Ich habe jedenfalls keine Antwort auf mein Schreiben bekommen, auch nicht, nachdem ich ca. drei Wochen nach der zitierten Mail noch einmal an die Chefredakteurin, die auserkorene «LGBTIQ-Ansprechpartnerin“ und die allgemeine Redaktionsadresse geschrieben und höflich nachgefragt habe. Eisiges Schweigen im Team des Profi-Psychologiejournals. Die Frage, ob das selbsternannte «führende deutsche Magazin für Psychologie» auch im Jahre 2019 immer noch ein wenig homophob, einfach nur ziemlich borniert oder aber so knallhart zielgruppenzentriert ist, dass man nicht nur alle Schwulen, Lesben Bisexuellen, Transpersonen, Intersexuellen und andere Queere, sondern überhaupt alle, die nicht ins Bild «pädagogisch gebildete, gut bürgerliche und psychologisch interessierte Hetera in ihren besten Jahren» passt, komplett links liegen lässt – diese Frage wird ein Rätsel bleiben, in das ich jetzt aber auch nicht tiefer einsteigen muss.

Mein alter Schulfreund würde sagen: Ich gehe lieber mal in der Zeit einen Kaffee trinken und blättere in einem Journal … Vielleicht gibt es ja eines mit heissen Typen drauf oder zumindest spannenden, weltoffenen und facettenreichen Inhalten drin. Also nicht Psychologie Gestern.


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