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Benjamin Brittens Lebenspartner soll im Stiftungsnamen wegfallen

In England gibt es Streit um die Neubenennung der Stiftung von Benjamin Britten und Peter Pears. Aktivisten sprechen von einem «Schlag ins Gesicht» der LGBTIQ Community

Olv Grolle als Tadzio und Hans-Jürgen Schöpflin als Aschenbach in Brittens «Death in Venice» im Theater für Niedersachsen (Foto: Falk von Traubenberg)

Kürzlich hat die Britten-Pears Foundation – benannt nach dem Komponisten Benjamin Britten (1913-1976) und seinem Lebenspartner, Tenor Peter Pears (1910-1986) – bekanntgegeben, dass sie mit Snape Maltings fusioniert. Das hat Folgen.

Dabei handelt es sich um die Betreiber eines Gebäudekomplexes in Südengland: mit Konzertsaal, Informationszentrum, Proben- und Gästeräumen, einer Bibliothek, dem «Britten Pears Young Artist Programme» usw. Britten und Pears hatten auf dem Gelände an der Nordseeküste Jahrzehnte zusammen gewohnt und dort das Aldeburgh Festival gegründet. Die neue Organisation soll «The Benjamin Britten Foundation» heissen, d.h. der Name von Peter Pears soll entfernt werden. Dagegen laufen LGBTIQ-Aktivisten in England Sturm.

Benjamin Britten gilt als bedeutendster britischer Komponist nach Henry Purcell (1659-1695); besonders seine Opern haben sich inzwischen weltweit im Standardrepertoire durchgesetzt, allen voran die Seemannsgeschichte «Peter Grimes» (1945) und die Matrosen-Saga «Billy Budd» (1951), aber auch seine Thomas-Mann-Vertonung «Death in Venice» (1973), die gerade im Theater für Niedersachsen in Premiere ging, in einer Inszenierung von Felix Seiler.

Benjamin Britten in einem Publicity-Foto der Firma London Records, 1968 (Foto: London Records / Wikipedia)

Alle diese Werke wurden für Tenor Peter Pears geschrieben, von ihm uraufgeführt und von ihm mit Britten als Dirigent aufgenommen für die prominente Plattenfirma Decca/London Records. Es sind bedeutende Zeugnisse einer singulären Partnerschaft, die nach wie vor als diskografische «Klassiker» gelten.


Das offene Geheimnis
Britten und Pears wurden 1939 ein Paar und blieben bis zu Brittens Tod 1976 zusammen. Sie lebten öffentlich in einem Haushalt, zu einer Zeit, als Homosexualität in Grossbritannien strafrechtlich verfolgt wurde. In seinem Buch «Queering the Pitch» spricht der schwule Musikwissenschaftler Philip Brett von einem «offenen Geheimnis», auf das sich damals alle einliessen, auch die Queen. (Für deren Krönung schrieb Britten als Auftragswerk die Oper «Gloriana».)

Dieses Geheimnis, über das nicht gesprochen wurde, das aber alle kannten, ermöglichte es Britten, in der damaligen Gesellschaft erfolgreich zu arbeiten, Kompositionsaufträge zu bekommen, homoerotische Liederzyklen auf Italienisch zu komponieren, von der Royal Family eingeladen zu werden, im britischen Fernsehen mit Pears aufzutreten, und trotzdem niemals das H-Wort in den Mund zu nehmen.

Aldeburgh Festival und Snape Maltings
1948 gründeten Britten und Pears zusammen mit Eric Crozier das Aldeburgh Festival. Sie bauten zusammen den Snape-Maltings-Konzertsaal in einer alten Scheune aus, sie gingen auf Tour durch die ganze Welt, als Sänger und Dirigent/Pianist, sie kreierten ein Zuhause für sich in Aldeburgh und luden fortwährend promintente Kollegen ein – zu denen zählten legendäre Schwule, wie zum Beispiel E. M. Forster, Christopher Isherwood und W. H. Auden. Mit allen arbeiteten Britten und Pears zusammen und hegten Freundschaften.


Der Konzertsaal Snape Maltings, 1975 (Foto: Charles01 / Wikipedia)

Ihr letztes gemeinsames Heim, The Red House, ist heute ein Museum, das die Britten-Pears Bibliothek beherbergt und der Öffentlichkeit zugänglich ist. Zugänglich sind die umfangreichen persönlichen und künstlerischen Archive sowie die grosse Kunstsammlung, die Peter Pears in seinem langen Leben zusammengetragen hat, als einer der gefeiertesten Opern-, Oratorien- und Liedsänger seiner Zeit.

Kondolenzschreiben der Queen
Als Britten 1976 starb, schickte Queen Elizabeth II Pears ein Kondolenzschreiben. Die Queen hat auch beide in den Adelsstand erhoben, für ihre besonderen Verdienste um die britische Kunst. «Lord Britten» und «Sir Peter» sind nebeneinander begraben auf dem Friedhof von Aldeburgh.
Für viele Menschen einer älteren Generation war das Paar Britten-Pears Vorbild, ein Beispiel, wie man in England trotz verheerender Gesetzeslage eine öffentliche schwule Partnerschaft leben konnte – wegen der die beiden Künstler von Kritikern immer wieder angegriffen wurden, allerdings nie direkt, sondern immer über kryptische Anspielungen, die aber von allen verstanden wurden («zu kitschig», «zu gefühlig», «zu unterkühlt» usw.).

Trotz der erzwungenen Verschleierung des homoerotischen Subtextes, wurde noch in Zeiten von Premierministerin Thatcher 1988 eine Tourneeproduktion von «Death in Venice» durch das renommierte Glyndebourne Festival abgesagt, weil die lokalen Behörden das Werk als «Homopropaganda» nach «Clause 28» einstuften und die Fördergelder für Aufführungen an Schulen strichen.

Eine Postkarte von 1988, die die Organisation for Gay and Lesbian Action (OLGA) veröffentlichte, nachdem die britische Regierung ein Gesetz verabschiedet hat, dass es öffentlichen Einrichtungen verbot, Homosexualität «zu bewerben» (aus: «Queering the Pitch»)

Von solchen Schikanen war Britten zeitlebens bedroht, weswegen er es tunlichst vermied, sich auf jegliche Diskussion zu seinen Opern einzulassen, die über das rein Musikalische hinausging. Es hätte im damaligen gesellschaftlichen Klima zur sofortigen Absetzung seiner Werke geführt an grossen Häuser wie der Covent Garden Opera.

Unterstützung von zivilisiertem Verhalten gegenüber Homosexuellen
In ihrem Testament haben Britten und Pears deswegen festgelegt, dass die Britten-Pears Foundation sich für LGBTIQ-Rechte einsetzen soll. Im Wortlaut heisst es in der Satzung von 1992: «Jenseits von musikalischen Aktivitäten erinnern wir an die Richtlinien, die Ben und Peter uns hinterlassen haben, zum Beispiel soll eines unserer Anliegen die Unterstützung von zivilisiertem Verhalten gegenüber Homosexuellen sein, was leider heute nötiger denn je scheint.»

Diese Passage wird in der monumentalen Britten-Biografie von Humphrey Carpenter zitiert. Ebenso zitiert Carpenter einen Brief von Pears, in dem er darauf eingeht, dass Britten wegen seiner Sexualität zeitlebens «innerlich zerrissen» gewesen sein soll: «Blödsinn! Ben hat seine leidenschaftlichen Gefühle für mich und alle seine früheren Freunde immer als gut, natürlich und zutiefst inspirierend angesehen. Es gab deswegen nie Schuldgefühle.»

Pears nutzte in den späten 70er-Jahren die Gay-Liberation-Bewegung und die neuen LGBTIQ-Medien, um eine neue Offenheit zu schaffen. So gab er 1979 dem US-Magazin «The Advocate» ein Interview. Da heisst es: «Ich habe öffentliche Demonstrationen von Homosexualität meist vermieden, weil ich glaube, man muss sich in die Gesellschaft einpassen. Wir wollen uns ja schliesslich nicht zu einem besonderen Ärgernis machen. Ich bin allerdings vollkommen dafür, dass man offen ist und dass alle, die es sehen wollen, auch sehen können sollen, was vorgeht.»

Die Decca-Ausgabe der Liederzyklen von Benjamin Britten, gesungen von Peter Pears (Foto: Decca Classics)

Nicht 100 Prozent schwul?
Dennoch zitiert Carpenter 1992 etliche Freunde aus dem Britten-Umfeld, die das genaue Gegenteil zu wissen meinen und immer wieder behaupten, Britten sei in Wirklichkeit nicht «100 Prozent schwul» gewesen. Als müssten sie Britten posthum vor der neuen Offenheit seines Partners schützen. Das betrifft die vielen Lords und Ladies, die als ehrenamtliche Mitglieder im Direktorium des Aldeburgh Festivals mitwirken ebenso wie die vielen britischen Musikwissenschaftler, die sich mit LGBTIQ-Themen schwer tun, als würde das die «Reinheit» der Kunst beschmutzen. Ein Problem, mit dem die deutsche Musikwissenschaft im Umgang mit Komponisten wie Werner Henze und Franz Schubert ebenfalls kämpft.

Trotzdem kämpfte die Britten-Pears-Foundation (BPF) weiter für LGBTIQ-Sichtbarkeit. Anlässlich des 50. Jahrestags des sogenannten «Wolfenden Reports», der in England zu einer Entkriminalisierung von Homosexualität und homosexuellen Handlungen geführt hatte, organisierte die BPF eine Lesung des vollständigen Reports, der Londoner Gay Men’s Chorus trat in Aldeburgh auf und man zeigte 2017 eine Ausstellung, die das gemeinsame Leben von Britten und Pears dokumentierte.

Angesichts der jahrzehntelangen Unterstützung der LGBTIQ Community durch die BPF ist es alarmierend, dass die neu fusionierte Gesellschaft den Namen von Pears einfach entfernen will: nach all den Kämpfen, die den Krampf überwunden haben, mit dem Britten und Pears so lange leben mussten.

Tenor Peter Pears auf einem Pressefoto in der Britten-Oper «Owen Wingrave», 1971 (Foto: NET Opera Theater on PBS / Wikipedia)

Straightwashing
Die BPF wurde 1986 aufgesetzt, nach dem Tod von Pears – ein kühner Schritt mitten in der Aidskrise und weltweit neu aufflammender Homophobie, auch in England und den USA. Ihre Namen gemeinsam in einer Stiftung zu verewigen war eine Pioniertat – es ist vermutlich die einzige gemeinnützige Stiftung in Grossbritannien, die auf diese Weise eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft zelebriert. Der Name ist auch Symbol für die Anerkennung und Akzeptanz von  Homosexualität. Der neue Name scheint diese Anerkennung und Akzeptanz rückgängig machen zu wollen.

Auch wenn das Ziel kein «straightwashing» sein sollte, ist es dennoch genau das, wenn man Peter Pears auf den Status eines «Mitarbeiters» reduziert und damit die zentrale Rolle negiert, die der Tenor bei der Erschaffung fast aller Britten-Werke spielte. Natürlich fliessen die umfangreichen Tantiemen auf Basis von Aufführungen von Britten-Werken heute an Brittens Erben: Eine gleichgeschlechtliche Ehe war zu Lebzeiten von Britten und Pears undenkbar; einer der Gründe, warum sie ihre Nachlässe in eine Stiftung umwandelten.

In einem öffentlichen Statement haben die BPF und Snape Maltings zwar erklärt, dass sie auch zukünftig die Partnerschaft von Britten und Pears würdigen wollen, aber dennoch ist das Entfernen des Namens von Pears eine «Beleidigung der LGBTIQ Community», wie etliche Aktivisten betonten. Sie fordern dazu auf, dem Direktor von Snape Maltings zu schreiben und bei Roger Wright persönlich zu protestieren (rwright[@]snapemaltings.co.uk) oder bei Sarah Bardwell, der Leiterin der Britten-Pears Foundation (s.bardwell[@]brittenpears.org).

Ob der Plan der Namensänderung auf Überlegungen zurückgeht, die Opern von Britten in der Welt besser verkaufen zu können und damit mehr Geld für Snape Maltings erwirtschaften zu können, ist eine interessante Frage. Ob eine schwule Partnerschaft heute im nach wie vor konservativen Klassikbetrieb ein Problem ist – besonders wenn es um Gastspiele in Ländern geht, die nicht so offen in Bezug auf LGBTIQ sind – ist eine gleichfalls interessante Frage. Darauf mit Unsichtbarmachung zu reagieren, um «kein besonderes Ärgernis» darzustellen, ist zwar die einfachste Lösung – kann aber nicht ernsthaft die Antwort sein; gerade in diesem prominenten Fall.

Seiner Biografie von 1992 hat Humphrey Carpenter übrigens ein Zitat vorangestellt, aus einem Brief von Stephen Reiss an den Autor. Darin schreibt Reiss: «Ich würde gern wissen, ob Sie planen ein bequemes oder ein unbequemes Bild zu zeichnen, ein wahres oder ein fiktives. Diese Frage klingt vielleicht abschreckend, aber so ist sie nicht gemeint. Ich glaube vielmehr felsenfest, dass BB die Wahrheit überleben kann und trotzdem als der wunderbare und liebenswerteste Menschen erscheinen wird, der je gelebt hat. Aber wenn nicht die ganze Wahrheit erzählt wird, dann wird dieses Bild beschädigt und sich fälschlicherweise in die Zukunft fortschleppen.»

Der Link zur Petition gegen die Namensänderung findet sich hier. Bisher haben über 4.000 Menschen unterschrieben.


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