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Pornosammlung vernichtet – 40-jähriger Mann verklagt seine Eltern

Sie soll einen geschätzten Wert von 29.000 Dollar gehabt haben. Sein Vater sagt, es sei zum «geistigen Schutz» des Sohnes geschehen

Das Titelbild des Buchs «Porn: From Andy Warhol to X-Tube» (Bruno Gmünder Verlag / Falcon Entertainment)

Ein Mann aus Michigan hat seine Eltern verklagt, weil sie seine Pornosammlung im Wert von 29.000 US-Dollar vernichtet haben. Derweil startet bei SKY diese Woche eine Doku-Serie zum Thema «Porn Culture».

Laut TV-Sender West Michigan Station FOX 17 hat ein 40-jähriger Mann seine Eltern verklagt, er wird im Nachrichtenbeitrag als «Charlie» bezeichnet. Er war nach seiner Scheidung zurück zu seinen Eltern gezogen und hatte ihnen angeboten, Hausarbeiten zu übernehmen, statt Miete zu zahlen. Er zog im Sommer 2017 wieder aus, nachdem es zu Streitigkeiten daheim kam, die derart eskalierten, dass die Polizei kommen musste.

Einige Monate später fuhren seine Eltern zu «Charlie» nach Indiana, um ihm seine Sachen zurückzubringen. Was fehlte, war seine Pornosammlung: Material, das laut polizeilicher Schätzung einen Wert von 28.940 Dollar und 72 Cent (!) hatte.

Schadensersatz in Höhe von 86.822,16 US-Dollar gefordert
Die Staatsanwaltschaft lehnte es allerdings ab, deswegen ein Strafverfahren gegen die Eltern einzuleiten. Dennoch hat «Charlie» eine Klage eingereicht und fordert nun Schadensersatz in Höhe von 86.822,16 US-Dollar. Er begründet den hohen Betrag damit, dass es sich vor allem um nicht mehr erhältliches Vintage-Material handle.


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Seine Eltern gaben bei den Anhörungen an, sie hätten zwölf Kisten mit Pornomaterial und zwei Kisten mit Sexspielzeug gefunden. Am gleichen Tag, an dem sie diesen Inhalt entdeckten, begannen sie mit der vollständigen Vernichtung, die längere Zeit in Anspruch genommen habe.

Warum taten sie das? Charlie sagt: «Wenn sie ein Problem mit meinem Sachen hatten, dann hätten sie das gleich sagen können und ich wäre woanders hingegangen. Stattdessen haben sie geschwiegen und sich rachsüchtig verhalten.»

Pornosucht und Schulverweis
Das sieht Charlies Vater anders. Er antwortete seinem Sohn laut West Michigan Station FOX 17: «Ob du es glaubst oder nicht, wir haben deine Pornos vernichtet zu deinem eigenen mentalen und emotionalen Schutz. Ich hätte das Gleiche getan, wenn ich ein Kilo Crack bei dir gefunden hätte. Ich hoffe, dass du mich eines Tages verstehen wirst.»


Laut Aussage des Vaters sei Charlie pornosüchtig, er habe Pornos bereits in der Oberschule und an der Uni zu einem «Geschäft» gemacht. Angeblich soll er sowohl aus der Schule als auch von der Uni geflogen sein, weil er Kommilitonen Pornomaterial verkauft habe. Daraufhin habe sein Vater ihn schon damals gewarnt, dass er alles vernichten würde, falls er jemals wieder entsprechendes Material bei ihm finden sollte.

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Angst vor der Pornografen-Terroristen-Homosexuellen-Lobby
Ist das ein Fall von «serious kink-shaming», wie eine US-Zeitung behauptet, also eine puritanische Reaktion auf die vermeintlich kinky Vorlieben eines Mannes mit Bezug auf Pornografie? Laura Kipnis schreibt in ihrem Buch «Bound and Gagged: Pornography and the Politics of Fantasy in America», wir lebten gerade in einer Zeit von «sozialer Hysterie rund um Porno», eine Hysterie, die sich in einer «massiven Welle» der Entrüstung ausdrücke. Sie berichtet davon, dass von einer «Pornografen-Terroristen-Homosexuellen-Lobby» die Rede sei, die die westliche Kultur mit vermeintlicher sexueller Befreiung zu Fall bringen wolle; während gleichzeitig einige Feministinnen Pornos «als bequemen Beweis dafür sehen, dass Frauen überall vergewaltigt und ausgebeutet werden».

Kipnis plädiert dafür, Pornografie ernst zu nehmen, denn: «Pornografie ist ein Ort, wo problematische soziale Themen ausgedrückt und verhandelt werden können», weswegen man «zwischen den Zeilen (oder zwischen den Körpern) lesen muss, um zu einer kritischen Exegese zu gelangen». Eine solche Exegese würde uns, laut Kipnis, etwas dazu sagen, wo wir als Gesellschaft heute stehen. Besonders deutlich ablesbar ist dies bekanntlich im Umgang der Mainstream-Gesellschaft mit pornografischen Erzeugnissen von sexuellen Minderheiten.

Ein Blick ins Archiv von Museumsgründer Charles Leslie (Foto: Kevin Clarke)

Homoerotische Kunst
Charles Leslie, Gründer des Leslie + Lohman Museums for Gay and Lesbian Art in New York berichtet in seiner Autobiografie, dass im Zuge der Aidskrise viele Eltern die Wohnungen ihrer gestorbenen schwulen Söhne ausräumten und dabei alles, was ihnen pornografisch vorkam, vernichteten. Auf diese Weise seien damals grosse Kunstsammlungen im Müll gelandet, von Künstlern, die wir heute gelernt haben über den rein pornografischen Aspekt hinaus wertzuschätzen, etwa Tom of Finland. Charles Leslie hat es sich damals zur Aufgabe gemacht, so viel von diesem Material zu retten, wie möglich. Dadurch entstand seine eigene Kunstsammlung, die heute die Basis des weltweit viel beachteten Museums ist.

Ein Blick ins Archiv von Charles Leslie, in dem sich viele pornografische Zeichnungen finden, die er während der Aidskrise vor der Vernichtung rettete (Foto: Kevin Clarke)

Auch das Schwule Museum in Berlin beherbergt eine umfangreiche Pornosammlung, die ebenfalls mit der Aidskrise und den Todesfällen der 1980er- und 90er-Jahre ins Archiv kam. Sie gibt umfangreich Auskunft über sich wandelnde Körperideale und sich verändernde Sexualmoral, immer als Spiegel des gesamtgesellschaftlichen Fortschritts. Das war zuletzt das Thema der grossen Ausstellung «Porn That Way», die zeigte, dass wichtige Impulse für die Gay-Liberation-Bewegung in den USA von schwulen Pornografen ausgingen, die entscheidende Gerichtsverfahren starteten. Diese Verfahren und die darauffolgenden Grundsatzurteile sprengten das moralische Korsett der Nachkriegsjahre und ermöglichten eine Befreiung für alle. (Ich durfte diese «Porn That Way»-Ausstellung damals zusammen mit Patsy l‘Amour laLove, Laura Méritt und Sarah Schaschek kuratieren.)

Gesellschaftlicher Wandel: SKY-Doku-Serie
Diesem Befreiungsprozess widmet sich ab dieser Woche auch der Fernsehsender SKY mit der neuen Doku «Porn Culture», die in sechs Folgen den Zusammenhang von Erotik und Gesellschaft von den 50er-Jahren bis in die Gegenwart verfolgt.

Musikjournalist Axel Brüggemann (l.) moderiert die Doku-Reihe «Porn Culture» (Foto: Sky TV)

«Wie hat unsere Lust die Welt verändert? Wie hat die Welt mit ihren Kriegen, Revolutionen, mit Krankheiten oder der Netzkultur unsere Liebe verändert», fragt die Presseankündigung. Die Moderation der Doku-Serie hat ausgerechnet ein Journalist aus dem Bereich Klassische Musik übernommen, Axel Brüggemann. In einem Newsletter von «Klassik-Woche» schreibt er: «All das hat nichts mit Klassik zu tun, sagen Sie? Oh doch! Unter anderem treffe ich auch die ehemalige Opernsängerin Adrineh Simonian, die heute als emanzipierte Porno-Produzentin tätig ist. Und nächste Woche geht es an dieser Stelle dann auch um die Erotik-Oper ‹Powder her Face› von Thomas Adès an der Volksoper in Wien.»

Solche scheinbare Akzeptanz von Pornografie als Teil der Populärkultur (bei gleichzeitiger Totalzensur in vielen sozialen Medien) ändert allerdings nichts daran, dass Porno- und Sexsucht Probleme sind, die ebenfalls angesprochen werden müssen. Verschiedene Studien belegen, dass weltweit 50 und 99 Prozent aller Männer Porno konsumieren, bei Frauen liegt die Quote sehr viel niedriger. Die Folgen dieses Konsums sind offensichtlich nicht nur positiv, auch was die Auswirkungen von Pornos auf Teenager sind und ihre Verstellung von Sexualität. Aber auch was die Selbsterwartungen vieler schwuler Männer betrifft, die meinen, ihr Sexleben müsse genauso aussehen, wie sie das aus Pornofilmen kennen. Über damit zusammenhängende Depressionen und Konsum von hemmungsabbauenden Substanzen ist andernorts schon viel berichtet worden, gerade was die LGBTIQ-Szene betrifft.

Gespräch mit Rita Süssmuth
Ein ausgewogener Umgang mit all diesen Aspekten wird allerdings erst möglich sein, wenn man darüber offen sprechen kann und weder einzelne Aspekte skandalisiert oder pathologisiert, noch bei anderen in einen Hurra-Verherrlichungsmodus umschaltet.

Rita Süssmuth im Gespräch mit Axel Brüggemann, im Archiv des Schwulen Museum (Foto: Kevin Clarke)

Man darf gespannt sein, wie das Verfahren im Fall «Charlie» weitergeht und auch, was SKY zum Thema zu vermelden hat. Während die Doku keinen explizit schwulen Fokus hat, tritt u.a. Rita Süssmuth auf und spricht im Archiv des Schwulen Museum über die Aidskrise und die Rolle, die sie bzw. Helmut Kohl damals spielte, aber auch welche Rolle schwule Mitarbeiter ihres Ministeriums spielten als Stichwortgeber für Süssmuths Verständnis und Reaktion auf die Gesundheitskrise. Da ich bei dem Interview dabei sein durfte, weiss ich, dass dieses Gespräch wirklich ungewöhnlich offen und bewegend verlief, auch weil Rita Süssmuths Erinnerung durch das umfangreiche Material aus der Aidssammlung des Schwulen Museum auf sehr detaillierte Weise aktiviert wurde. Hoffen wir mal, dass all diese Erinnerungen auch in die Doku übernommen wurden.


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