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«Moralische Werturteile sind fehl am Platz»

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Teure Angelegenheit
Damit spricht Simon die Tatsache an, dass das HIV-Medikament Truvada sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland viel kostet. Eine Monatspackung schlägt mit rund 800 Euro – beziehungsweise 900 Franken – zu Buche. Diese Kosten werden in beiden Ländern nur dann von den Krankenkassen übernommen, wenn das Präparat zur Therapierung bereits Infizierter eingesetzt wird. Soll das Medikament vorbeugend verwendet werden – als PrEP eben – liegt es allein am Konsumenten, den stolzen Preis zu bezahlen. In der Schweiz besteht immerhin die Möglichkeit, billigere Generika aus dem Ausland zu bestellen. Damit alleine ist es aber noch nicht getan, denn für eine sichere und effiziente Prophylaxe sind regelmässige Blut- und Urinkontrollen beim Arzt notwendig. «Es ist enorm wichtig, dass PrEP-Nutzer während der gesamten Einnahme medizinisch betreut werden», betont Vinicio Albani.

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Vincio Albani, Redaktor und Berater «Dr. Gay», Aids-Hilfe Schweiz.

Komplizierter präsentiert sich die Lage in Deutschland, wo ein direkter Generikaimport über die Hersteller nicht erlaubt ist. Legal kann man die Billigmedikamente nur einführen, indem man sie bei der Einreise im Handgepäck bei sich trägt. Zwar ist seit dem 1. August ein Truvada-Generikum des Herstellers Hexal zur prophylaktischen Verwendung auf dem deutschen Markt zugelassen. Die erhoffte grosse Kosteneinsparung bleibt aber noch aus: «Das Hexal-Produkt ist nach Auspreisung rund 26 Prozent billiger als das Original», so Tim Schomann von der Deutschen AIDS-Hilfe. «Das reicht nicht. Wir fordern die weitere, drastische Senkung der PrEP-Preise.» Es müsse möglich sein, dass ein jeder, der die Tabletten brauche, einen regulären, bezahlbaren Zugang dazu erhalte. «Das würde verhindern, dass sich Menschen die Medikamente auf eigene Faust beschaffen. Manche machen das heute schon, zum Teil ohne ärztliche Begleitung. Damit sind aber hohe Risiken verbunden.»

Darüber reden
Jev und Simon gehen in ihrem Umfeld relativ offen damit um, dass sie bisweilen ungeschützten Sex haben. «Es kommt auf mein Gegenüber an», wie Simon sagt. Mit Leuten, die HIV nach wie vor mit einem Todesurteil gleichsetzen, spreche er nicht darüber. Seinen Freunden gegenüber mache er aber kein Geheimnis daraus. «Einige sind ängstlich und besorgt, andere haben Mühe, mein Verhalten zu verstehen», so Simon – und fügt an, dass derartige Reaktionen ja auch nicht unbegründet seien. Und Jev? Er ist der Ansicht, dass die Schwulen in diesen Fragen oft am gleichen Strang zögen. «Und im Gespräch mit Heteros hat die Thematik schon zu interessanten Unterhaltungen geführt.


Viele von ihnen haben eine überholte Einstellung zu HIV», so Jev. Er kriege aber auch immer wieder seltsame Meinungen und Kommentare zu hören. Das Repertoire reiche von Leuten, die ihm «im Chat Moralpredigten halten», bis hin zu Typen, die nach einer Sexsession ohne Kondom meinten, ob er es denn nicht gefährlich fände, das Sperma eines Fremden zu schlucken. Solche Fragen würden ihm zeigen, dass teilweise noch Aufklärungsarbeit nötig ist, sagt Jev. «Manche glauben, ungeschützter Analverkehr sei eine kleinere Gefahr als das Schlucken von Sperma – das sollte nicht sein. Und auch die veraltete, falsche Meinung, wonach der Aktive beim ungeschützten Analsex kein Ansteckungsrisiko hat, scheint noch immer im Gedankengut einiger Leute verhaftet zu sein.»

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Andere Männer, die gerne auf Kondome verzichten, finden Simon und Jev an verschiedenen Orten. «Auf Gayromeo oder Grindr, zum Beispiel», sagt Simon. «Auf den Profilen der Apps wird heute ja oft angegeben, wie man es am liebsten macht.» Ansonsten besuche er gelegentlich einschlägige Partys, in deren Darkrooms «es dann ziemlich zur Sache geht». Auch Jev trifft seine Partner online, «manchmal in Sexclubs oder selten in Cruising-Areas», wie er erzählt. Seiner Ansicht nach könne man durchaus von «einer Art Bareback-Szene» reden, die dank der PrEP in letzter Zeit einen Aufschwung erfahre. «Plötzlich mischen sich auch HIV-Negative unter die mehrheitlich Positiven.»

Ähnlich sieht es Vinicio Albani. Er kenne eine Gruppe von Leuten, die ausschliesslich ohne Kondom Sex hätten. Oft handle es sich um HIV-Positive mit unterdrückter Virenlast, oder um Negative auf PrEP. «Eine allgemeine Aussage darüber, wer genau mit wem schläft, lässt sich allerdings nicht machen.» Ebenso wenig existiere der «typische Barebacker». Zum Teil wäre man wohl recht überrascht, welche Personen welche Vorlieben hätten, meint Albani. «Vielleicht stellt man den Lederbären eher in die ‹Bareback-Ecke› als den unschuldig wirkenden Twink – aber solche Pauschalisierungen sind meist unzutreffend und gefährlich.»



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