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Frankreichs rauer Nordwesten

Auf der Flucht vor germanischen Einwanderern gelangten im fünften Jahrhundert keltische Stämme aus Grossbritannien in diese Region. Seither wird die Halbinsel Britannia Minor genannt, was so viel wie Klein-Britannien bedeutet und schliesslich zur heutigen Bezeichnung Bretagne geführt hat. Den französischen Königen gelang es lange nicht, die bretonischen Gebiete völlig zu unterwerfen. Erst als die Herzogin der Bretagne den französischen König ehelichte, wurde dieser Landstrich offiziell mit Frankreich vereinigt. In der Folge wurde die bretonische Kultur in vielen Lebensbereichen unterdrückt.

Bis 1954 war es beispielsweise unter Androhung von Strafen verboten, an den Schulen Bretonisch – eine mit dem Walisisch verwandte Sprache – zu sprechen. Die Repressionen führten in den Sechzigerjahren gar dazu, dass antirevolutionäre Organisationen Bombenanschläge auf Einrichtungen des französischen Staates verübten. Trotz aller Bemühungen der Bretonen, die Sprache in Frankreich zu etablieren, ist sie bis heute offiziell nicht anerkannt. Immerhin dürfen seit den Achtzigerjahren zweisprachige Orts- und Strassenschilder aufgestellt werden. Trotz der augenfälligen Unterschiede zwischen der Bretagne und dem restlichen Frankreich zählt die Bretagne heute nach der Côte d’Azur zu den am meisten besuchten Regionen des Landes. Interessanterweise stammt der mit Abstand grösste Teil der Besucher_innen aus der Grande Nation selbst.

Stadt der Gaumenfreuden
Rennes, die Hauptstadt der Bretagne, verströmt eine jugendliche und moderne Atmosphäre. Das Stadtbild entstand in seiner heutigen Form erst im 18. Jahrhundert, nachdem eine verheerende Feuersbrunst im Jahr 1720 weite Teile der Altstadt zerstört hatte. Einige mittelalterliche Gebäude konnten jedoch erhalten werden und zeugen bis heute von der langen Geschichte der Stadt. So wurden an der bei Einheimischen und Touristen beliebten «Place du Champ Jacquet» fast alle Gebäude vom Feuer verschont, weshalb ein Besuch dieses Platzes bei keinem Stadtrundgang fehlen darf. Ebenfalls sehenswert ist die gepflegte Place des Lices, auf welcher seit dem 15. Jahrhundert der städtische Wochenmarkt stattfindet. Heute zählt der Marché des Lices zu den schönsten Märkten Frankreichs und begeistert mit seinem immensen Farben- und Aromenreichtum.


Rue-la-fayette
Vom Platz des Parlaments aus gelangt man über die Einkaufsstrasse Rue la Fayette zu den weiteren Sehenswürdigkeiten von Rennes.

In den gedeckten Markthallen sowie draussen an den Ständen werden unzählige Gaumenfreuden feilgeboten, weshalb es fast unmöglich ist, den Markt mit leeren Händen zu verlassen. Über die lebhafte Einkaufsstrasse Rue la Fayette gelangt man anschliessend zum Platz des Parlaments. Für die bretonische Geschichte hat dieses eindrückliche Gebäude eine ganz besondere Bedeutung, denn es diente bis 1789 als Versammlungsort für das damals unabhängige Parlament der Bretagne, das sich der französischen Zentralgewalt bis zum Schluss widersetzte. Heute tagt im Parlamentsgebäude der höchste Gerichtshof der Bretagne.

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[item title=“Gay Life“]

Frankreich ist ein liberaler Staat, in dem Homosexualität bereits seit 1791 legal ist. Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Orientierung stehen im ganzen Land unter Strafe. Mit dem PACS, dem sogenannten zivilen Solidaritätspakt, wurde 1999 die eingetragene Partnerschaft ins Leben gerufen, die sowohl homo- als auch heterosexuellen Paaren offensteht. Der PACS gewährt fast dieselben Rechte und Pflichten wie die Ehe – mit Ausnahme der Adoption und der künstlichen Befruchtung. 2011 lehnte die Nationalversammlung die gleichgeschlechtliche Ehe ab. Zwei Jahre später wurde die Ehe dann doch noch für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet und gleichzeitig auch die Adoption legalisiert. In der Folge kam es in verschiedenen Städten zu teils gewaltsamen Protesten. Zudem wurde eine Beschwerde gegen das Gesetz eingereicht, die vom Verfassungsrat jedoch abgelehnt wurde. Kurz darauf heiratete am 29. Mai 2013 das erste gleichgeschlechtliche Paar. Rennes ist das Zentrum des LGBT-Lebens in der Bretagne und man findet hier eine beachtliche Szene mit diversen Bars und Clubs. Besonders angesagt ist der Club «Le Batchi» und die stylische «L’Extaz Bar». Im vergangenen Juni haben an der fünfzehnten «Gay Pride Rennes» mehrere tausend Personen teilgenommen – gay-sejour.com


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Reise in die Vergangenheit
Rund fünfzig Kilometer von Rennes entfernt liegt das charmante Städtchen Fougères mit seinem mittelalterlichen Schloss aus dem Jahr 1020. Die zu den grössten Befestigungsanlagen Europas zählende Burg, die hoch auf einem Schieferfelsen thront, verfügt über 13 mächtige Türme und ist vollständig von einem Wassergraben umgeben. Den schönsten Blick auf das historische Schloss lässt sich von der nahen Oberstadt aus geniessen. Diese erreicht man über einen reizvollen Weg entlang der Stadtmauer und vorbei an alten Fachwerkhäusern.

Schloss-Fougeres
Das mittelalterliche Schloss von Fougères zählt zu den grössten Befestigungsanlagen Europas.

Le Mont Saint-Michel, eine der wohl bekanntesten Sehenswürdigkeiten Frankreichs, ist von Fougères aus in weniger als einer Stunde zu erreichen. Diese pittoreske Klosterinsel, die im 10. Jahrhundert erstmals von Benediktinermönchen besiedelt und dann stetig ausgebaut wurde, liegt in einer weitgeschwungenen Bucht, wo sie von Wasser, Sand, schlammigem Untergrund und Grasflächen umgeben ist. Bis zu 14 Meter kann der Gezeitenunterschied hier betragen. Deshalb war die Insel früher nur bei Ebbe zu erreichen. Ende des 18. Jahrhunderts ordnete die damalige Regierung trotz grosser Proteste an, einen Damm zu bauen und die Insel so für immer mit dem Festland zu verbinden. Da der Damm jedoch zur Versandung der Bucht beitrug und bei Flut unterspült wurde, entschied man sich vor rund zwanzig Jahren, eine Brücke als Ersatz zu erstellen.

Le-mont-saint-michel
Einmalige Lage: Die pittoreske Gezeiteninsel Le Mont Saint-Michel befindet sich in einer weitgeschwungenen Bucht.

Nach jahrzehntelanger Planung und einer langen Bauphase wurde diese im Sommer 2014 offiziell eröffnet. Besucher gelangen nun über einen 740 Meter langen Steg auf die zum Weltkulturerbe gehörende Insel. Mittlerweile flanieren jedes Jahr rund drei Millionen Tourist_innen durch die mittelalterlichen Gässchen der Stadt. Deshalb kann es vor allem in der Hochsaison ziemlich eng werden.

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[item title=“Auf einen Blick“]

Anreise: Air France bietet Flüge von der Schweiz und Deutschland via Paris nach Nantes und Brest-Bretagne an (ab CHF 300.-/ EUR 240.-) – airfrance.com

Beste Reisezeit: Von Mai bis September, doch kann das Wetter ganzjährig unbeständig sein. Deshalb lohnt sich ein Besuch der Bretagne durchaus auch in der ruhigeren Nebensaison.

Sprache: Die offizielle Landessprache ist Französisch. Vielerorts kann man sich jedoch auch gut mit Englisch durchschlagen.

Einreise: Schweizer und EU-Bürger benötigen eine Identitätskarte oder einen Personalausweis, um nach Frankreich einzureisen.

Sicherheit: Die Bretagne gilt als sicheres Reiseziel.

Weitere Informationen: tourismebretagne.com

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Einen guten Eindruck von der Schönheit dieser einzigartigen Gezeiteninsel erhält man bei einem Spaziergang auf der Befestigungsmauer. Danach kann man bis zum höchsten Punkt der Insel steigen, wo sich die mächtige Klosteranlage befindet. Wem es nichts ausmacht, barfuss durch kalten Schlamm zu schreiten, kann bei Ebbe an einer geführten Wattwanderung durch die Bucht teilnehmen. Unterwegs bieten sich nicht nur ganz ungewohnte Ausblicke auf die Klosterinsel, sondern man erfährt auch viel Interessantes über das einzigartige Ökosystem des Wattenmeers.

Vielfältiger Küstenabschnitt
Westlich von Le Mont Saint-Michel erreicht man die von hohen Befestigungsmauern umgebene Stadt Saint-Malo, die auf drei Seiten von den Fluten des Atlantiks umspült wird. In den schmalen Pflastergassen der Altstadt reihen sich bunte Boutiquen und zahlreiche Restaurants aneinander. Hoch oben können Besucher_innen auf den Wehrmauern zu Fuss die gesamte Stadt umrunden und dabei den Blick über das smaragdgrüne Meer, die weissen Sandstrände und den Hafen schweifen lassen. Bei Ebbe zieht sich der Ozean hier so weit zurück, dass man trockenen Fusses zu den vorgelagerten Inseln Grand Bé und Petit Bé spazieren kann. Am anderen Ende der Bucht von Saint-Malo liegt der schicke Ferienort Dinard mit seinen luxuriösen Jugendstilvillen und feinsandigen Stränden. Dinard erlebte seinen Aufschwung in der Belle Époque und ist noch heute bei den Schönen und Reichen beliebt.

Leutturm-Cap-Frehel
Ein Leuchtturm weist Schiffen beim wilden Cap Fréhel den Weg.

Mit 2700 Kilometern Küste verfügt die bretonische Halbinsel über eine längere Küstenlinie als jede andere Region Frankreichs. Ein besonders eindrücklicher Abschnitt befindet sich rund 45 Kilometer von Saint-Malo entfernt. Bereits aus der Ferne erkennt man das weit ins Meer hinausragende Cap Fréhel. Ein grosser Leuchtturm weist in der Nacht und bei stürmischem Wetter Schiffe darauf hin, dass sie sich hier in gefährlichen Gewässern befinden.

An sonnigen Tagen kann man hingegen von der über 70 Meter hohen Steilküste aus einen tollen Blick auf die beeindruckenden Klippen und die zischende Brandung erhaschen. Bei ganz klarer Sicht ist sogar die Insel Jersey am Horizont zu erkennen. Wer möchte, kann die karge, baumlose Heidelandschaft zu Fuss erkunden. Da das Kap ein wichtiges Vogelschutzgebiet ist, lassen sich unterwegs zahlreiche Vogelarten beobachten, die hauptsächlich in den Sommermonaten in den Felsen nisten.

Halbinsel der Gegensätze
Im Süden der Bretagne liegt die Halbinsel Quiberon mit einer wilden Küste im Westen und feinen Sandstränden im Osten. Im Sommer ist diese Gegend vor allem bei Aktivurlauber_innen beliebt, da man hier optimale Bedingungen zum Segeln, Surfen, Kajakfahren und Kitesurfen vorfindet. Zudem durchziehen Rad- und Wanderwege die gesamte Halbinsel. Auch bei schlechtem Wetter hat Quiberon einiges zu bieten, ist dieser Ort doch international für seine Thalasso-Therapien bekannt.

Sain-malo
Die von hohen Befestigungsmauern umgebene Stadt Saint-Malo wird auf drei Seiten von den Fluten des Atlantiks umspült.

Folglich kann man sich hier in geheizten Meerwasserbecken herrlich vom Alltagsstress erholen und sich innovativen Behandlungen mit Inhaltsstoffen aus dem Meer hingeben, denen eine verjüngende und hautstraffende Wirkung nachgesagt wird. Ob diese tatsächlich eintritt, sei einmal dahingestellt. Unbestritten ist jedoch, dass ein paar Tage an der wilden Küste der Bretagne einfach gut tun – ganz unabhängig davon, mit welchen Aktivitäten man seinen Urlaub verbringt.

Fotos: Andreas Gurtner


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