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HIV in Osteuropa, eine Epidemie ausser Kontrolle – was tun?

Die finanziellen Mittel für Massnahmen gegen HIV gehen zurück. Die Region steuert in eine Katastrophe, warnen Experten.

Die HIV-Epidemie hat sich in Osteuropa und Zentralasien in den letzten Jahren dramatisch zugespitzt: Gegen den weltweiten Trend steigt die Zahl der Infektionen rasant. Die Prävention greift nicht, warnen Experten. Die Behandlungsprogramme für Menschen mit HIV in Osteuropa sind vollkommen unzureichend. Die finanziellen Mittel für Massnahmen gegen HIV gehen zugleich zurück. Fazit: Die Region steuert in eine Katastrophe.

Es herrsche dringender Handlungsbedarf, konstatiert die Deutsche AIDS-Hilfe: Nötig sind finanzielle Mittel ebenso wie eine Prävention, die besonders stark betroffene Gruppen wie schwule Männer und Drogenkonsumenten nicht weiter ausgrenzt. Dabei ist auch die Bundesregierung gefordert, eine entsprechende Strategie für das Engagement gegen HIV/AIDS in Osteuropa zu entwickeln.

Mit diesem Thema befasst sich am Dienstag die Konferenz „HIV in Osteuropa – Die unbemerkte Epidemie?!“ in Berlin. Sie soll dafür sorgen, dass dieses vernachlässigte Thema in den Fokus der Öffentlichkeit gelangt. Eingeladen haben das Aktionsbündnis gegen AIDS, Brot für die Welt und die Deutsche AIDS-Hilfe.


In der Landesvertretung Baden-Württembergs beraten rund 80 Fachleute aus Politik, Zivilgesellschaft und HIV-Selbsthilfe darüber, wie Erfolgsrezepte der HIV-Prävention und -Behandlung in Osteuropa wirksam werden könnten. Mit dabei sind UNAIDS-Vize Luiz Loures und der Leiter des Nationalen AIDS-Zentrums in Russland, Vadim Pokrovsky.

HIV in Osteuropa: Massnahmen greifen nicht

Weltweit geht die Zahl der Neuinfektionen zurück (u.a. durch die Verbreitung der PrEP), immer mehr Menschen erhalten HIV-Medikamente, immer weniger sterben. In Osteuropa jedoch greifen die Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft, der Länder selbst und der Selbsthilfe-Organisationen nicht. In vielen Ländern der Region ist ein ungebremster, teils dramatischer Anstieg der HIV-Infektionen zu verzeichnen. Vor allem in Russland, wo seit 2016 die Marke der 100.000 jährlichen Neuinfektionen überschritten ist.


Auch der Zugang zu Test und Behandlung in der Region liege weit unter den von UNAIDS angestrebten Zielen. Die Finanzierung der Massnahmen gegen HIV/Aids verschlechtere sich zugleich immer mehr.

Jetzt handeln!

Diese Situation ist ethisch untragbar und kann nicht ohne Auswirkungen auf das restliche Europa bleiben. Die Bundesregierung müsse darum endlich eine Strategie entwickeln, um der HIV-Epidemie in Osteuropa etwas entgegenzusetzen, so die Deutsche AIDS-Hilfe.

Die Zusammenarbeit zwischen Staat und den am stärksten betroffenen Gruppen hat sich in der deutschen HIV-Prävention als überaus erfolgreich erwiesen. Diese vorbildliche Kooperation ist für internationale Massnahmen wegweisend.

Luiz Loures, stellvertretender Exekutiv-Direktor von UNAIDS, zeigt sich äusserst besorgt. „Damit auch in Osteuropa ein Ende von AIDS weiterhin denkbar bleibt, ist es unerlässlich, die am stärksten betroffenen Gruppen zu erreichen – einschliesslich drogengebrauchender Menschen, Männern, die Sex mit Männern haben, Sexarbeiter und Menschen in Gefängnissen. Die Zivilgesellschaft spielt hierbei eine zentrale Rolle und es ist zwingend notwendig, dass sie ausreichend finanziert, unterstützt und befähigt ist, ihre wichtige Arbeit zu erledigen.“

Die Verfolgung von Homosexuellen ist eine menschliche Katastrophe und macht HIV-Prävention unmöglich

Sylvia Urban, Vorstand des Aktionsbündnis gegen AIDS und der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH) fordert die Bundesregierung auf, dafür zu sorgen, dass Osteuropa von den Erfahrungen in Deutschland profitieren kann. „Die Länder selbst müssen dafür Sorge tragen, dass nicht weiter Diskriminierung der am stärksten betroffenen Gruppen den Zugang zu Prävention und Versorgung erschwert. Alle Erfahrungen zeigen: Partizipation ist der Schlüssel! Wer darauf verzichtet, kann gegen die HIV-Epidemie nicht erfolgreich sein. Die Verfolgung von Homosexuellen, Drogenkonsumenten und anderen Minderheiten ist eine menschliche Katastrophe und macht HIV-Prävention unmöglich.“

Astrid Berner-Rodoreda, Vorstand des Aktionsbündnis gegen AIDS und Beraterin für HIV bei Brot für die Welt erklärt:

„Auch beim Zugang zu Behandlung liegt Osteuropa weit hinter anderen Regionen zurück. Das hängt auch mit hohen Medikamentenpreisen zusammen. Hier müssen Rahmenbedingungen geändert werden, damit kostengünstige Generika in den Ländern verfügbar sind. Auch muss die Region weiterhin von der Unterstützung des Globalen Fonds profitieren. Partnerorganisationen benötigen in ihrer HIV-Arbeit mit gefährdeten Gruppen und Betroffenen Unterstützung, nicht nur von deutschen Nicht-Regierungsorganisationen, sondern auch von ihrer Regierung und deutschen Regierungsstellen. Die vorbildliche Zusammenarbeit im HIV-Bereich zwischen Regierungsstellen und Nicht-Regierungsorganisationen in Odessa, Ukraine, lässt sich auch in anderen Regionen erzielen. Dafür ist jedoch vor allem politischer Wille notwendig. Wir dürfen die Menschen in Osteuropa mit der zunehmenden HIV-Problematik nicht länger alleine lassen.“

Mehr HIV-Infektionen, weniger Gegenmassnahmen

Die bislang vorliegenden Konzepte zu HIV in Osteuropa reichen bei weitem nicht aus. Die nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen können so niemals erreicht werden. Mehr noch: Das internationale Engagement – auch das bundesrepublikanische – gegen AIDS in der Region wurde in den letzten Jahren trotz der zugespitzten Situation immer weiter reduziert.

Einige internationale Geldgeber, wie beispielsweise der Globale Fonds gegen AIDS, Tuberkulose und Malaria (GFATM), haben sich aus Ländern der Region weitgehend zurückgezogen. Zum einen wurde die Wirtschaftskraft einiger Länder durch die Weltbank neu eingestuft, so dass sie nun selbst mehr beitragen müssen. Zugleich wird das politische Klima immer schwieriger. Organisationen, die Fördermittel aus dem Ausland erhalten, müssen sich beispielsweise als „Auslandsagenten“ registrieren lassen und unterliegen staatlichen Restriktionen.

Diese Entwicklungen beschädigen insbesondere die Tätigkeit zivilgesellschaftlicher Akteure, die in der erfolgreichen HIV/Aids-Arbeit immer eine tragende Rolle spielen. Die Folgen sind dramatisch: Wirksame Präventionsarbeit für die am stärksten betroffenen Gruppen wird immer weiter eingeschränkt oder kommt gar nicht erst zustande.

Ein Beispiel sind Massnahmen zur Verhinderung von gesundheitlichen Schäden beim Drogenkonsum Spritzenvergabe und Safer-Use-Aufklärung gibt es in vielen Ländern nicht. Und während die Substitutionsbehandlung in der Ukraine zu grossen Erfolgen geführt hat, verweigern andere Länder wie Russland diese wissenschaftlich abgesicherte Therapie, die zahlreiche Gesundheitsrisiken minimiert.

Menschen in Haft

Gefangene sind aufgrund desolater baulicher Bedingungen und mangels Zugang zu Prävention und Behandlungsmöglichkeiten einem ganz besonders hohen Risiko ausgesetzt, sich mit Tuberkulose, HIV oder Hepatitis C zu infizieren. Tuberkulose ist bereits jetzt eine der Haupttodesursachen für Menschen mit HIV, zunehmend stellen multiresistente Tuberkuloseserrger eine ernsthafte Bedrohung dar, warnt die DAH.


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