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Volker Beck: Die Abschiedsrede

Anlässlich der Abstimmung im Bundestag über die Rehablitierung der Opfer des Paragrafen 175 hat der schwule Grünen-Abgeordnete seine Abschiedsrede gehalten. Beck, seit 22 Jahren für die Grünen im Bundestag, gilt als einer der Väter der Eingetragenen Partnerschaft und warb zuletzt immer wieder dafür, die Ehe für alle gemeinsam mit der SPD noch in dieser Legislaturperiode durchzusetzen. Er war beim NRW-Parteitag im Dezember bei seiner Bewerbung um Platz 12 der NRW-Landesliste für die Bundestagswahl durchgefallen. Damit straften ihn die nordrhein-westfälischen Grünen offenbar für seine Drogenaffäre aus dem Frühjahr 2016 ab, als er mit verbotenen Substanzen erwischt wurde. Volker Beck wird also dem nächsten Bundestag nicht mehr angehören. In seiner Rede gestern ließ 56-Jährige die Entwicklungen  seit 1989 kurz Revue passieren, kritisierte die vergiftete Regelung der Koalition zur Rehabilitierung der verurteilten Homosexuellen und die unzureichende Entschädigung. Das Parlament und seine Abgeordneten forderte er zu mehr Selbstbewußtsein auf: Abgeordnete sind nicht „Dezernenten für einen Fachbereich“, sondern an „Aufträge und Weisungen nicht gebunden“.

Hier seine Rede im Wortlaut:

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
[…]
Auch für mich schließt sich heute ein Kreis. 1989 habe ich  als Schwulenreferent der grünen Bundestagsfraktion einen Gesetzentwurf zur Streichung des § 175 Strafgesetzbuch für meine Fraktion geschrieben. 1993 hörte der Rechtsausschuss erstmals einen Vertreter der schwulen Bürgerrechtsbewegung an; ich war damals der Sprecher des Schwulenverbandes und auf Einladung der FDP-Fraktion als Sachverständiger geladen. 1994 wurden die letzten Reste des § 175 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Heute ist ein historischer Tag. Der Bundestag erkennt die Menschenrechtsverletzungen an den homosexuellen Männern in der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik ausdrücklich an und sagt: Dieses Unrecht darf keinen Bestand haben.


Schande und Schmach

Es ist gut, dass für viele Homosexuelle endlich das Stigma des Kriminellen beseitigt wird. Weniger gut ist, dass das viele nicht mehr erreicht, weil sie in der Zwischenzeit verstorben sind. Meine Damen und Herren, das Urteil war ein Aspekt von dem, was die Menschen ruiniert hat, aber auch schon das Ermittlungsverfahren konnte den sozialen Tod bedeuten. Es war mit Schande und Schmach sowie der Vernichtung der bürgerlichen Existenz verbunden. Deshalb bitte ich Sie, noch einmal zu erwägen, ob Sie unserem Änderungsantrag hinsichtlich der Entschädigungsleistungen nicht zustimmen wollen. Wir entschädigen jetzt ja alleine Haftschäden. Für viele Menschen war aber schon durch ein Ermittlungsverfahren oder auch durch ein Strafrechtsurteil ihre bürgerliche Existenz und ihre Berufskarriere vernichtet. Im Entschädigungsrecht ist es eigentlich üblich, dass der Staat, wenn er einen Schaden verursacht hat, auch Berufs- und Rentenschäden zu entschädigen hat. Das haben wir beim Bundesentschädigungsgesetz und auch beim Allgemeinen Kriegsfolgengesetz so gemacht. Warum machen wir das bei dieser Gruppe nicht?

Leute wurden aus dem Beamtenverhältnis entlassen, haben ihre Wohnung verloren, ihren Arbeitsplatz verloren. Auf all dies gibt die Entschädigungsregelung, die Sie gewählt haben, in vielen Fällen leider keine Antwort. Wir haben eine fexible Regelung vorgeschlagen. Werfen Sie Ihr Herz über die Hürde, und treten Sie unserem Antrag bei!


[perfectpullquote align=“full“ cite=““ link=““ color=““ class=““ size=““]Ein bisschen Gift musste offensichtlich noch sein.[/perfectpullquote]

Meine Damen und Herren, es ist wichtig, dass diese Rehabilitierung heute beschlossen wird. Es ist mir völlig unverständlich, welche Regelungstechnik Sie gewählt haben. Es gibt ja ein Vorbild. Die Paragrafen, die wir aufheben, haben wir für die Zeit zwischen 1933 und 1945 schon einmal aufgehoben, nämlich mit dem NS-Unrechtsurteileaufhebungsgesetz. So, wie es da gemacht wurde, schlagen wir es auch in unserem Gesetzentwurf vor. Wir werden aber Ihrem geänderten Entwurf am Ende zustimmen, weil es entscheidend ist, dass die Rehabilitierung für die betroffenen Menschen heute beschlossen wird. Aber dass Sie mit dieser kleinen Nickeligkeit eine symbolische Sperre bei der Rehabilitation einziehen, was für lesbische Frauen und in heterosexuellen Beziehungen nicht strafbar war, und nicht alle rehabilitieren wollen, finde ich der Sache nach und auch von der Botschaft her, die wir senden, einfach nicht angemessen. Das macht die heutige Entscheidung bitter. Ein bisschen Gift musste offensichtlich noch sein.

[perfectpullquote align=“full“ cite=““ link=““ color=““ class=““ size=““]Ihr seid jugendgefährdend. Ihr dürft euch am öffentlichen Leben nicht in gleicher Weise beteiligen. [/perfectpullquote]

Am Ende des Tages wird Ihre Nickeligkeit keine Rolle spielen, weil die Urteile, aus denen Sie die Tatbestände, die Sie hier beschreiben, entnehmen könnten, gar nicht mehr vorliegen. Wir wissen nur, nach welchen Paragrafen die Menschen verurteilt worden sind. Mehr ist auf uns in den meisten Fällen nicht überkommen. Also fragt man sich doch: Warum musste diese Regelung unbedingt sein?

Angst vor Polizei und Justiz

Meine Damen und Herren, ich erwähnte es gerade: Ich gehöre noch zu der Generation, die unter dem § 175 Strafgesetzbuch, zumindest in seiner Jugendschutzform, groß geworden ist. Weit über die Bedeutung des
Strafrechtlichen hinaus hat dies das Leben meiner Generation geprägt. Es war nicht nur so, dass ich damals bei meinen ersten sexuellen Erfahrungen „Opfer eines Strafrechtsparagrafen“ gewesen war. Ich hatte nicht vor dem Sexualpartner Angst, aber sehr wohl vor Polizei und Justiz und davor, dass meine Homosexualität dadurch ans Licht kommen könnte. Das war prägend. Jedoch auch in anderen Bereichen, die darüber hinausgingen, etwa im Mietrecht oder bei der Frage von Infoständen, wurde uns gesagt: Ihr seid jugendgefährdend. Ihr dürft euch am öffentlichen Leben nicht in gleicher Weise beteiligen. – Ich finde, die Vertreter der Parteien, die dafür gesorgt  haben, dass dieser Paragraf so lange im Gesetzbuch stand, sollten sich dafür bei den betroffenen Menschen entschuldigen.

Hoffnung auf baldige Eheöffnung bleibt

Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass das nicht meine letzte, sondern meine vorletzte Rede im Bundestag ist, weil wir in der nächsten Woche vielleicht den Gesetzentwurf zur Eheöffnung noch beschließen können.

Aber manchmal kommt es anders. Deshalb will ich am Schluss mit Erlaubnis der Präsidentin zum Abschied noch ein paar Worte an Sie richten. Ich war 23 Jahre leidenschaftlich gern Abgeordneter für die Grünen. Ich danke meinen Wählerinnen und Wählern und meiner Partei für das mir entgegengebrachte Vertrauen; ohne die hätte ich nicht das bewirken können, was ich vielleicht bewirkt habe. Ich bin dankbar für die vielen interessanten und bereichernden Begegnungen hier im Hohen Haus mit Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktionen.

Was außerhalb des Parlaments vielleicht zu wenig bekannt ist, ist die Tatsache, dass trotz allen Streits und aller Auseinandersetzungen hier im Plenum und in Talkshows die Zusammenarbeit zwischen den demokratischen Fraktionen über sachliche Themen immer wieder funktioniert hat. Man hat auch jenseits der Koalition manchmal ein offenes Ohr bei der Bundesregierung gefunden, wenn es um konkrete Anliegen von Menschen oder Bürgern ging, die Hilfe brauchten, sowie auch bei kleineren politischen Aktionen. Ich glaube, dass wir als Abgeordnete in diesen Zeiten selbstbewusst herausstreichen müssen, welch ein Gewinn ein demokratisches Parlament ist. Parteien und Fraktionen haben eine große Bedeutung an integrativer Kraft für die politische Meinungsbildung. Gleichzeitig müssen wir als Abgeordnete aber auch sagen: Wir sind ein selbstbewusstes Parlament – gegenüber der Regierung, aber auch gegenüber denjenigen, die derzeit den Parlamentarismus denunzieren.

[perfectpullquote align=“full“ cite=““ link=““ color=““ class=““ size=““]Am Ende müssen wir in jeder Frage selber entscheiden, wo unser Herz ist [/perfectpullquote]
Wir haben eine große Verantwortung in der Kontrolle der Regierung. Der einzelne Abgeordnete kann manchmal mehr bewirken, als die Presse glauben mag und auch manche von uns glauben mögen. Ich will insbesondere den jüngeren und neuen Abgeordneten des nächsten Deutschen Bundestages sagen: Wir sind nicht Dezernenten für einen Fachbereich. Vielmehr sind wir frei gewählte Abgeordnete – in allgemeiner, unmittelbarer und freier Wahl gewählt –, Vertreter des ganzen Volkes und an Aufträge und Weisungen nicht gebunden, auch nicht an solche der Koalitionsführung, der Fraktionsführung oder der Parteiführung. Am Ende müssen wir in jeder Frage selber entscheiden, wo unser Herz und wo unser Standpunkt unter Abwägung aller Aspekte ist. Wenn das Parlament seitens der Medien Neiddebatten unter Druck kommt.

Auf der Pressetribüne ist keiner mehr anwesend. Sie sind wahrscheinlich gerade am Feiern, aber das Parlament arbeitet immer noch. Die Statusrechte und die Ausstattung der Parlamentarier – dafür habe ich viele Jahre gestritten und auch gekämpft – sollen die Sicherheit und die Unabhängigkeit der Abgeordneten sichern, und sie sind keine Privilegien, sondern zwingende Voraussetzung, dass man zum Beispiel in presserechtlichen Auseinandersetzungen die nötigen Ressourcen hat, um sich gegen falsche Anwürfe zu verteidigen, und dass man unabhängig seiner politischen Arbeit nachgehen kann. Ich möchte alle ermutigen, diese Frage der Unabhängigkeit sowohl gegenüber Populisten als auch gegenüber manchmal nickeligen Presseanfragen stolz und selbstbewusst zu verteidigen.

Ein Satz noch. Die Demokratie ist nicht unfehlbar in ihren Ergebnissen. Das Gute an der Demokratie ist, dass sie ihre Fehler einsehen und korrigieren kann, und ich glaube, das haben wir am heutigen Tage auch mit diesem Gesetzgebungsverfahren gezeigt. Vielen Dank.


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