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„Solche Subjekte wie Sie dürfen nicht mit Kindern arbeiten!“

In einem Berliner Kindergarten wollen Eltern ihren Nachwuchs nicht von einem schwulen Mann hüten lassen. Sie drohten dem Träger des Kindergartens, so berichtete diese Woche der Tagesspiegel, mit einer Unterschriftenaktion. Die vorwiegend muslimischen Eltern, die schon damit ein Problem hatten, dass ein Mann auf ihre Kinder aufpasste, wurden schließlich von der Geschäftsführerin ausgeschlossen. Thomas Strzalka (49) aus Osnabrück kennt das Problem aus eigener Erfahrung, allerdings waren es in seinem Fall deutsche Eltern, die ihm das Leben schwer gemacht haben. Der schwule Erzieher sitzt im Vorstand des Dachverbandes der Elterninitiativen und anderer freien Träger in Osnabrück e.V. (DEOS), der wiederum zum bundesweiten Dachverband der freien Kindertageseinrichtungen mit Sitz in Kassel gehört (BAGE).

Herr Strzalka, sind Sie bei Ihrer Arbeit immer schon offen schwul gewesen?
Ich habe es nie verheimlicht, aber auch nie nach außen getragen. In den ersten Jahren nach der Ausbildung war ich vorsichtig, weil man ja gar nicht wusste, wie die Leute darauf reagieren. Progressiv offen bin ich erst damit umgegangen, seit ich einmal gekündigt wurde.

[perfectpullquote align=“full“ cite=““ link=““ color=““ class=““ size=““]Einer repräsentativen Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zufolge findet es jeder vierte Deutsche unangenehm, wenn ein Erzieher schwul ist.[/perfectpullquote]


Was ist passiert?

Ich war vor 20 Jahren Leiter einer kleinen altersgemischten Kindertagesstätte in NRW im Landkreis Minden-Lübbecke, und es wurde damals vom Elternvorstand an allem möglichen massiv Kritik geübt. Nichts war richtig und irgendwann bekam ich dann die Kündigung. Ich fragte nach, was überhaupt gewesen sei und welche Verfehlungen man mir vorwarf, denn fachlich hatte ich mir nichts zu Schulden kommen lassen. Da hieß es dann, dass man dafür sorgen würde, dass „solche Subjekte“ wie ich nicht mit Kindern arbeiten dürften.

Kita
Thomas Strzalka (Foto: privat)

Im aktuellen Fall aus Berlin, heißt es, kommen die Eltern aus arabischen, rumänischen oder russischen Familien. Wie war es bei Ihnen?
Das waren in der Regel Akademiker und in keiner Weise mit Migrationshintergrund. Man kann das nicht verallgemeinern. Es ist ja so: Bedenken oder Sorgen haben Eltern grundsätzlich immer, weil sie ihre Kinder lieben. Wenn sie mit etwas Unbekanntem konfrontiert werden, ist immer ein Prozess nötig, bei dem man über Kommunikation diese Probleme aufzulösen versucht. Aber ich würde nicht sagen, dass das was mit Migrationshintergrund zu tun hat. Es gibt grundsätzliche Bedenken gegen Männer in Kindertagesstätten.


Gegen Männer generell und gegen Schwule im Besonderen.
Genau.

Wie war es bei Ihren Anstellungen danach?
Auch da kam es immer wieder vor, dass sich Mütter und Väter mit meiner Homosexualität schwergetan haben. Da gab es auch durchaus Eltern – gar nicht mit Migrationshintergrund, sondern Akademiker: studiert, gebildet, mit einer gewissen Weltoffenheit -, die Ablehnung geäußert haben und es gab auch Beschimpfungen. Es war absurd, aber bei den Einstellungsgesprächen habe ich am Ende immer gesagt: Bevor Sie es von anderen erfahren, ich bin schwul.

Haben Sie sich damals gegen Ihre Kündigung gewehrt?
Ich habe geklagt und auch gewonnen, aber nicht weil ich auf Wiedereinstellung nach Diskriminierung wegen Homosexualität geklagt hätte, sondern weil das Verfahren, was die Eltern damals gewählt haben, massive arbeitsrechtliche Fehler hatte. Sich dagegen zu wehren, war schwer, weil die Angelegenheit so persönlich war. Man wurde da auf eine Art angegriffen, die sehr verletzend ist. Also, ich weiß sehr gut, was der Kollege da in Berlin durchstehen muss. Das ist eine sehr unschöne Situation, um es mal vorsichtig zu sagen.

Wie ist das durchschnittliche Zahlenverhältnis in Kindertagesstätten zwischen weiblichen und männlichen Erziehern?
In der Regel ungefähr bei 7 bis 10 %. Bei Elterninitiativen ist der Anteil sicher höher. Das individuelle Profil dieser Einrichtungen bietet einfach mehr Möglichkeiten. Hier ist der Träger nicht wie im herkömmlichen Sinne die Stadt, die AWO oder die Kirchen, sondern ein Elternverein. Hier werden andere Schwerpunkte gesetzt, sie sind in der Regel offener, kreativer, flexibler, aber auch intensiver im Kontakt zwischen Eltern und pädagogischem Personal.

[perfectpullquote align=“full“ cite=““ link=““ color=““ class=““ size=““]“Männlichen Erziehern wird in der Ausbildung geraten, kleine Kinder lieber gar nicht zu wickeln.“[/perfectpullquote]

Die Tendenz ist vermutlich steigend, da der Anteil von männlichen Erziehern vor 20 oder 30 Jahren sicher noch geringer war.
Auf jeden Fall. Wobei man aber auch sagen muss, dass in den Ausbildungen männlichen Auszubildenden diese Vorbehalte mitgegeben werden. Ihnen wird empfohlen, dass sie kleine Kinder lieber gar nicht wickeln sollten oder wenn, dann nur bei offener Tür. Das finde ich extrem bedenklich. Es kann nicht sein, dass man schon grundsätzlich bestimmte Tätigkeiten ausklammert, weil eventuell der Verdacht bestehen könnte, dass

Versucht Ihr Verband, dahingehend Änderungen an der Ausbildung zu bewirken?
Es wird Stück für Stück versucht. Dass es überhaupt so weit gekommen ist, ist erst entstanden durch die Einführung des Bundeskinderschutzgesetzes (im Jahr 2012, Anmerkung der Red.) und den damit verbundenen Regeln, dass ein Beschwerdemanagement in den Einrichtungen etabliert werden muss. Sodass vermehrt in den Einrichtungen auf die Gefahr von Missbrauch an Kindern aufmerksam gemacht werden soll und sich dort Experten herausbilden sollen, die im Fall eines Verdachtes handeln. Das ist erst in den letzten Jahren massiv ausgebaut worden, nachdem etliche Fälle von Missbrauch bekannt geworden waren.

Heißt: Die Ausbilder meinen es gut, weil sie die angehenden Erzieher schützen wollen, schießen damit aber über das Ziel hinaus?
Genau. Es kann nicht der Weg sein, das widerspricht auch der Authentizität des Pädagogen oder des Erziehers. Er soll ja mit seiner Fachlichkeit als auch mit seiner Person den Kindern gegenübertreten. Wenn man da bestimmte Aspekte seiner Persönlichkeit rausnimmt, ist das eine ungünstige Beschränkung der Arbeit.

Wie begegnet man am besten den Vorbehalten der Eltern?
Eltern haben durchaus – sicher auch für Außenstehende irrational erscheinende – Ängste, was ihre Kinder betrifft. Da muss man miteinander reden. Es kann ja sein, dass die Leute Vorbehalte haben, weil sie gelernt haben, Homosexualität als Stigma wahrzunehmen. Aber die Chance ihre Vorbehalte zu überdenken, muss man erstmal allen geben. Also, Vertrauen aufbauen, für Verständnis werben. Wenn das nicht hilft, muss sich der Arbeitgeber am Ende vor den Angestellten stellen. Denn mit der Arbeit hat die sexuelle Ausrichtung ja überhaupt nichts zu tun. Da kann es nicht sein, dass der Erzieher durch das Vorgehen der Eltern seiner Arbeit und Lebensgrundlage beraubt wird.

Was würden Sie angehenden Erziehern raten, die schwul sind?
Ich kann nur im Nachhinein sagen, dass es besser ist, von Anfang an offen mit dem eigenen Schwulsein umzugehen und das Gespräch zu suchen. Weil man dann mehr Respekt erlangt gegenüber dem Arbeitgeber, weil man etwas sagt, was Heterosexuelle niemals sagen würden.


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