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Erfahrungen mit PrEP: Wie ein Apfel am Tag …

Ein guter Freund von mir hat kürzlich seine HIV-Medikation von Truvada auf Triumeq umgestellt, wodurch ihm ein Überschuss des alten Medikaments blieb. Er erzählte mir davon und fragte, ob ich eine Packung haben wollte. Das kam mir sehr entgegen, weil ich wusste, dass es in meinem Sommerurlaub zu häufigem ungeschützten Sex kommen wird. Eine PrEP kam also wie gerufen. Ich setzte mich mit einem Berater des Checkpoints Bern in Verbindung und nahm die Tabletten so ein, wie er mir empfahl: eine doppelte Dosis zwei Tage vor dem Beginn des Risikozeitraums und dann jeweils eine Tablette täglich, einschliesslich zwei Tage nach der letzten Risikosituation.

[perfectpullquote align=“full“ cite=““ link=““ color=““ class=““ size=““]«PrEP war Freifahrtschein, um Sex ohne Gummi auf die Spitze zu treiben.»[/perfectpullquote]

Ich entschied mich für die PrEP, weil ich ungeschützten Sex generell bevorzuge. Kondome empfinde ich als unangenehm und mühsam. Es spielen hier sowohl psychologische als auch physiologische Faktoren eine Rolle: Als Aktiver kann ich mich im Nu vom Ständer verabschieden, und als Passiver wird mein Allerwertester trotz Gleitmittel augenblicklich wund. Und das ganze befreiende, geile, hemmungslose Gefühl geht flöten. «Safe» und «Sex» passen in meinem Kopf einfach nicht zusammen. Ich gebe zu: Vielleicht ist es auch das Spiel mit dem Feuer, das mich zusätzlich heiss macht. Während des Urlaubs war die PrEP dann natürlich der Freifahrtschein, um das Ganze auf die Spitze zu treiben und nur ungeschützten Sex zu haben. Ich schätze, es waren an die 30 bis 50 Männer. Nebenwirkungen des Medikaments, von denen oft gesprochen werden, verspürte ich keine.

Sex mit Männern unter der Nachweisgrenze als Safer-Sex-Taktik
Um nicht missverstanden zu werden: Ich lege es nicht darauf an, mich mit HIV zu infizieren. Aber ich habe auch keine Angst davor. In meiner Generation bedeutet ein positives Testergebnis eben kein Todesurteil mehr. Ich habe viele HIV-positive Personen in meinem Umfeld und sehe sowohl die Vor- als auch die Nachteile. Ja, meiner Meinung nach gibt es auch Vorteile – zumindest in der heutigen, westlichen Gesellschaft: Als HIV-Positiver ist man quasi «erlöst». Natürlich gibt es nach wie vor die Stigmatisierung sowie den gesundheitlichen und finanziellen Aspekt, aber nach einer gewissen Zeit unter einer HIV-Therapie ist man «undetectable».


Immer mehr Schwule setzten auf die gleiche Taktik wie ich und ziehen Sex mit Männern unter der Nachweisgrenze vor. Und das ist, zumindest was HIV betrifft, der beste Schutz. Angst vor HIV habe ich also nicht, bin aber trotzdem glücklich, immer noch HIV-negativ zu sein. Sollte es zu einer Ansteckung kommen, wäre ich weder erstaunt, noch fände ich es dramatisch. Ein Nullrisiko gibt es sowieso nicht. Ausser ich ginge ins Kloster und schwüre meiner rechten Hand die ewige Treue.

Alle Tests waren negativ
Was die Wirksamkeit der PrEP angeht, vertraue ich den Statistiken. Und die Zahlen sprechen für sich. Bei regelmässiger Einnahme der Medikamente ist die Ansteckungsrate auf ein Minimum reduziert. Da ist die Chance höher, dass ein Kondom platzt, der Sexualpartner es «aus Versehen» abnimmt oder beide Beteiligten es im Vollrausch vergessen. Dann lieber täglich eine kleine Pille spicken. Und wenn es mein Leben lang ist.
Drei Wochen nach den Ferien habe ich mich testen lassen und mein Status war, wie erwartet, negativ. Ich war davon ausgegangen, mir eine andere sexuell übertragbare Erkrankung einzufangen, doch auch diese Tests – Syphilis, Gonorrhoe, Chlamydien, Hepatitis C – waren alle negativ.
Da ich eine sehr gute Erfahrung mit der PrEP gemacht habe, ziehe ich es in Erwägung, eine weitere «Kur» zu machen. Momentan kann ich mir aber das 900 Franken teure Döschen nicht leisten.

«PrEP kann das Kondom nicht ersetzen»

Die Präexpositionsprophylaxe – kurz PrEP – ist eine neue Methode, um sich vor einer HIV-Infektion zu schützen. Seit dem 22. August ist das Medikament Truvada zur PrEP in der Europäischen Union zugelassen. Über Chancen und Risiken sprachen wir mit Christoph Kolbe von der Präventionskampagne «Ich weiss was ich tu» der Deutschen AIDS-Hilfe.


Christoph Kolbe arbeitet seit 2014 bei der Deutschen AIDS-Hilfe in Berlin.
Christoph Kolbe arbeitet seit 2014 bei der Deutschen AIDS-Hilfe in Berlin.

Christoph, was bedeutet PrEP genau?
PrEP ist die Abkürzung für Präexpostionsprophylaxe, was so viel heisst wie Vor-Risiko-­Vorsorge. HIV-negative Menschen nehmen ein HIV-Medikament ein, das dann eine Infektion verhindert.

Welches Medikament ist das?
Zum Einsatz kommt das Präparat Truvada, ein gängiges HIV-Medikament. Es enthält zwei Wirkstoffe, Tenofovir und Emtricitabine. Sie blockieren die Vermehrung von HIV in Körperzellen. In einigen Jahren werden vermutlich weitere Medikamente für die PrEP zur Verfügung stehen, die ähnlich funktionieren.

Welche Nebenwirkungen kann Truvada haben?
Truvada hat meist keine oder nur wenige Nebenwirkungen. Es kann allerdings in seltenen Fällen die Nieren schädigen. Deswegen gehört eine Kontrolle der Nierenwerte zur PrEP dazu. Ebenso ein regelmässiger HIV-Test. Denn sollte man sich trotz PrEP infizieren, kann HIV gegen das Medikament resistent, also unempfindlich werden – und das schränkt dann die Therapiemöglichkeiten ein.

[perfectpullquote align=“full“ cite=““ link=““ color=““ class=““ size=““]«Truvada wird nicht dazu führen, die HIV-Epidemie zu beenden, wie manchmal suggeriert wird.»[/perfectpullquote]

Truvada ist seit kurzem zur PrEP zugelassen. Bedeutet das, dass sie jetzt jeder bekommen kann?
Die PrEP ist im August zugelassen worden, das ist korrekt, allerdings unter Auflagen. Der Hersteller muss noch Schulungsmaterial für Ärzte und Patienten vorlegen, das zurzeit mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel- und Medizinprodukte abgestimmt wird. Erst dann ist das Verfahren abgeschlossen.

Wo kann ich das Medikament bekommen?
HIV-Medikamente sind verschreibungspflichtig. Man sollte unbedingt eine auf HIV-spezialisierte Praxis oder Ambulanz aufzusuchen. Letztlich gilt: Die Entscheidung, ob eine PrEP sinnvoll ist oder nicht, muss jeder für sich selbst treffen. Wer häufig ungeschützten Sex hat, aus welchen Gründen auch immer, könnte von der PrEP profitieren und sollte darüber mit einem kompetenten Arzt sprechen oder die Beratungsstellen der AIDS-Hilfen in Anspruch nehmen.

Übernehmen die Krankenkassen die Kosten, wenn mir ein Arzt Truvada verschreibt?
Die Krankenkassen haben leider angekündigt, nicht für die PrEP aufkommen zu wollen. Jetzt muss man sehen, wie es weitergeht.

Was kostet Truvada, wenn ich selbst zahlen muss?
Truvada ist teuer: Eine Monatspackung kostet rund 840 Euro (900 Franken). Das wird sich allerdings ändern: Im kommenden Jahr läuft das Patent für das Medikament ab. Dann können andere Firmen es kostengünstiger anbieten.

Für wen ist die PrEP überhaupt gedacht?
Laut Zulassung ist die PrEP für Menschen mit einem besonders hohen HIV-Risiko gedacht. In Deutschland ist das zurzeit eine relativ kleine Gruppe schwuler Männer, die häufig Sex ohne Kondom haben, weil sie aus verschiedenen Gründen Schwierigkeiten damit haben. Als passiver Partner ist es zum Beispiel nicht immer leicht sicherzustellen, dass der aktive Partner ein Kondom richtig verwendet. Diese Männer könnten durch die PrEP vor einer wahrscheinlichen HIV-Infektion bewahrt werden.

[perfectpullquote align=“full“ cite=““ link=““ color=““ class=““ size=““]Hundertprozentigen Schutz gibt es mit keiner Methode. Die PrEP schützt sehr zuverlässig vor HIV, wenn man die Medikamente konsequent einnimmt.[/perfectpullquote]

«Schwierigkeiten mit Kondomen» klingt etwas unkonkret. Anders gefragt: Für welche Zwecke ist die PrEP nicht gedacht?
Die PrEP wird das Kondom nicht verdrängen oder ersetzen. Kondome bleiben für die meisten Menschen die einfachste Möglichkeit, sich vor HIV zu schützen. Sie reduzieren zugleich das Risiko anderer Geschlechtskrankheiten. Gegen Syphilis, Tripper und Co. schützt die PrEP nicht.

Schützt die PrEP denn sicher vor HIV?
Hundertprozentigen Schutz gibt es mit keiner Methode. Die PrEP schützt sehr zuverlässig vor HIV, wenn man die Medikamente konsequent einnimmt.

Ist das eindeutig nachgewiesen?
Der Schutzeffekt wurde in zwei Studien nachgewiesen, an denen schwule Männer mit einem besonders hohen HIV-Risiko teilnahmen. Er betrug 86 Prozent, es gab also mit PrEP 86 Prozent weniger Infektionen als in einer Vergleichsgruppe ohne die Medikamente. In anderen Studien war die Schutzwirkung allerdings viel geringer, weil viele Männer die Medikamente nicht regelmässig einnahmen.

Ist die PrEP ein Meilenstein in der Bekämpfung von HIV und Aids?
Die PrEP kann HIV-Infektionen verhindern und dazu beitragen, in bestimmten Gruppen die Infektionszahlen zu senken. Für diejenigen, die von der PrEP profitieren können, ist das gewiss ein Meilenstein. Truvada wird aber nicht dazu führen, die HIV-Epidemie zu beenden, wie manchmal suggeriert wird. Dazu braucht es mehr.

Inwiefern?
Es werden niemals alle Menschen, die ein HIV-Risiko haben, die PrEP nehmen, sondern nur ein kleiner Teil. Deswegen bleibt alles gültig und wichtig, was bisher galt: Kondome schützen, Kommunikation über Safer Sex ist wichtig. Die Stigmatisierung von Menschen mit HIV ist die grösste Herausforderung – sie hält Menschen vom Test ab und verhindert Kommunikation über Schutz. Dagegen helfen keine Pillen.


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