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Mitgehangen aber nicht mehr mitgefangen im digitalen Überwachungsnetz

Am 12. Zurich Film Festival brachte Oliver Stone erstmals seinen neuen Politthriller «Snowden» als Preview in die Schweizer Kinos. In den USA ist der Film kein Kassenschlager und so hoffte der skandalumwitterte Regisseur, dass sich die Schweizer Zuschauer sensibler zeigen würden für den spektakulärsten Geheimdienstskandal der Neuzeit.

Im Juni 2013 traf sich der amerikanische Whistleblower Edward Snowden mit dem britischen Guardian-Journalisten Glen Greenwald und der Filmemacherin Laura Poitras in einem Hotelzimmer in Hongkong. Was die drei miteinander in zahllosen Tag-und-Nachtschichten besprachen, sollte gewaltigen Wirbel machen in der verschwiegenen, verschworenen Achse der Guten. Seither ist es etwas ruhig geworden um den Computer-Crack, der, abgeschirmt von der Öffentlichkeit, mit seiner Freundin als politischer Flüchtling in Moskau lebt. Die von US-Präsident Barack Obama versprochenen Reformen haben sich im bürokratischen Dickicht Washingtons verloren.

Regisseur Oliver Stone reiste zwei Mal nach Moskau mit dem Projekt, die Geschichte des Whistleblowers in einem abendfüllenden Kinofilm nachzuerzählen. Warum Snowden anfangs bei diesem Projekte zögerte, schliesslich zusagte, gehört bereits zu den «Making-of-Legenden», die der nun schon 70-jährige Haudegen, begleitet von den adrett-netten Shooting-Stars Joseph Gordon-Levitt und der gerade von den Teenagerrollen entwachsenen Shailene Woodley, am diesjährigen 12. Zurich Film Festival gerne unter die Filmjournalisten streut.

Fernab vom Promi-Blitzlichtgewitter und dem obligaten Laufsteg treffe ich Oliver Stone beim «Presseroundtable» (vier Klappstühle und der Meister im Korbstuhl) im beschaulichen Park des Nobelhotels Baur Au Lac. An der Medienkonferenz des Vortages hatte sich der Regisseur eher gereizt und lakonisch gezeigt.


Gleich vorweg: wenn die Fragen nicht so vielschichtig sind oder in philosophische Betrachtungen ausarten, erweist sich Stone als witziger Gesprächspartner, charmanter Typ und guter Zuhörer. Ein Kontrastprogramm zu dem, was ein Tagesanzeiger-Journalist aus dem Nähkästchen berichtete, nämlich dass der Regisseur angeblich «auf dem Set herumschreit und Journalisten fertigmacht».

Oliver Stone: «Ich habe nichts Illegales getan!»

Bild: Cem Topçu
Bild: Cem Topçu

Viele haben die Hoffnung gehegt, mit dem ersten schwarzen US-Präsidenten käme ein Wandel in die US-Politik nach der terrorbelasteten Bush-Ära. Ist Obama seinen Geheimdiensten erlegen
Stone: Ich bin beiden Obama und George W. Busch persönlich begegnet. Busch wirkte auf mich sehr umgänglich. Obama war eher kühl und nüchtern. Gleichzeitig, denke ich, ist er bestimmt ein liebevoller Familienvater.
Habt ihr gesehen, wie Obamas Haar in seiner Amtszeit grau wurde. Vielleicht nicht zuletzt, weil er sich während acht Jahren selbst betrog und auch die amerikanische Öffentlichkeit hinters Licht führte. Doch Lügen ist ja eine normale menschliche Eigenschaft. Obama war eben nie ein Kämpfer. Vor seiner Zeit als Präsident war er lange Zeit zivilrechtlich aktiv, also eher ein Mann, der den Kompromiss und Ausgleich sucht und nicht die direkte Konfrontation.

Auf der Website von «Frontline» habe ich in einem Artikel über die Snowden-Affäre ein interessantes Zitat von Obama entdeckt. «Es genügt nicht, wenn ich als US-Präsident Vertrauen habe in die Geheimdienstprogramme. Die amerikanischen Bürger müssen dieses Vertrauen auch haben». Eine recht widersprüchliche Aussage, finden Sie nicht?


Stone grinst, zupft mir den Artikel höflich aus den Händen, scannt ihn kurz durch, und bittet mich, ob er ihn behalten darf. Sure!
Stone: Obama hat mehr als 40 Reformen vorgeschlagen, aber geschehen ist nichts. Ich bezweifele, ob je ein gegenwärtiger oder zukünftiger US-Präsident wirklich dieses Geheimdienstsystem durchschauen wird. Dort gelten einfach eigene Spielregeln. Es ist wie eine geheime Regierung innerhalb der US-Regierung. Sobald etwas an die Oberfläche kommt, wird sofort die nationale Sicherheit heraufbeschworen und gewaltigen Druck auf die Medien ausgeübt. Doch dieser gigantische, digitale Überwachungsapparat liefert keine greifbaren Resultate. Die jüngsten Terroranschläge in Frankreich konnte niemand verhindern. Und Snowden weist gerade darauf hin: «Du findest keine Nadel im Heuhaufen. Du musst die Nadel finden, bevor sie im Heuhaufen landet.»

Gab es einen Moment, wo Sie aufhören wollten, Filme zu drehen?
Nie. Ich zog meine Filme immer recht gradlinig durch und habe auch einen zwölfstündige TV-Serie (The Untold History of the United States) vor ein paar Jahren gedreht. Die Budgets werden aber immer knapper, weil ich keine Unterstützung erhalte. „Snowden“ zu drehen war wirklich hart. Alle grossen Studios lehnten ihn ab. Das meiste Geld kam aus Frankreich und Deutschland. Zudem mussten wir auch auf Nummer Sicher gehen und haben nicht in den USA gedreht. Man weiss ja nie.

War Snowden bei Ihrer Begegnung mit ihm in Moskau betrübt über die Aussicht, nicht in die USA zurückkehren zu dürfen?
Oh ja. Er würde liebend gerne nach Hause. Eigentlich hat ihn sein Heimatland hängen gelassen, obwohl er für seine Tat die höchsten Auszeichnungen verdient. Denn Snowden hat wirklich grossen Mut bewiesen im Gegensatz zu Obama.

Glauben Sie, dass sie unter Überwachung stehen?
Ich bin überzeugt, die haben eine grosse Akte über mich. Doch ich bezweifle, dass die Geheimdienste sich durch diesen Film bedroht fühlen. Wenn sie anfangen Künstler zu verfolgen, die ihre Meinungsfreiheit ausüben, wäre dies ein grösserer Skandal. Ich habe nichts Illegales gemacht, obwohl einige vielleicht vom Gegenteil überzeugt sind. Na ja, ich lasse mich überraschen.

Stone wendet sich schelmisch grinsend an die Runde: «Würdet Ihr mich beschützen? Würdet ihr eine internationale Journalisten-Petition für mich lancieren?»

Zwischenrufe: «Oh ja, sicherlich. Kein Problem.»

Wie ist der Film bisher angelaufen?
Also in den USA gab es sehr unterschiedliche Kritik. Finanziell sieht es nicht nach einem Kassenschlager aus. Die Einnahmen sind eher dürftig.

Vielleicht weil es bereits einen Dokumentarfilm über das Leben von Snowden gibt?
Du meinst «Citizen Four»? Ach, den hat sich doch niemand in den USA angesehen. Der Film ist schwierig zu verstehen. Oft wird Snowden auch mit dem Wikileaks-Gründer Julian Assange oder mit Chelsea Manning verwechselt. In dem Licht dieser Affären reagierte die amerikanische Öffentlichkeit negativ auf den vermeintlichen Verräter Snowden, mal abgesehen von ein paar Freidenkern oder Studenten.

Und wird er je in die USA zurückkehren können?
Wenn Obama Gnade gewährt. Mit den jetzigen Präsidentschaftskandidaten Clinton und Trump ist diese Möglichkeit aussichtlos.

Möchten Sie uns etwas über ihre zukünftigen Projekte erzählen?
Nicht möglich.

Hätten Sie mal Lust eine Komödie zu drehen?
Ich habe nicht die Fähigkeit dazu. Sowieso, dieser Film hat mich recht angestrengt und momentan bin ich ziemlich ausgepowert. Zweieinhalb Jahre Arbeit. Ich hoffe jetzt mal, dass «Snowden» in Europa und in Asien gut anläuft.

Und so ist der Film «Snowden»:

Eine konspirative Verabredung in einem Hongkonger Hotel. Investigative Journalisten, die einen altgedienten, grauhaarigen Geheimdienstler erwarten und sich einem schüchternen Jungen gegenübersehen. Die Filmemacherin Loira Poitras hat die letzten Tag vor der Enthüllung über den grössten Überwachungsskandal der US-Geschichte bereits in ihrem Dokumentarfilm «Citzen Four» verarbeitet, wo notabene der echte Edward Snowden die Hauptrolle spielt.

Das offizielle Filmposter zu «Snowden». (Bild: ZFF)
Das offizielle Filmposter zu «Snowden». (Bild: ZFF)

Ist denn noch nicht alles gesagt über dieses schüchterne Computergenie mit dem Durchschnittsgesicht? Oliver Stone hat gerade an diesem Punkt angesetzt. Er will die Zeit vor der schicksalhaften Reise nach Hongkong zeigen, und so folgt der Film ziemlich linear dem Werdegang eines genialen Computer-Autodidakten. Ohne Highschool-Abschluss, von der Armee dispensiert, arbeitet sich Snowden (John Gordon-Levitt) mit Ehrgeiz und pathetischem Patriotismus («Ich will meinem Land dienen.») von den Aussenbüros bis in das Herz der US-Geheimdienste vor, bis er das ganze Ausmass der digitalen Massenüberwachung versteht und auch mitentwickelt.

Eine Gegenwelt schafft sich der introvertierte Genie-Hacker mit seiner Freundin (Shailene Woodley), einer liberalen Künstlerin und auch ein paar besonders coole oder resignierende Arbeitskollegen stimulieren die ersten Zweifel in Snowdens Gewissen. Die US-Regierung mit ihren geheimen Schaltzentralen will ja nur das Beste für ihre Bürger, obwohl die digital orchestrierte Überwachungsparanoia mit den Grundrechten der hochgelobten Verfassung im Widerspruch steht. Wie die USA mit Whistleblowern umgehen würde, sah Snowden in dem Schicksal von Chelsea Manning, die 2009 noch mit ihrer männlichen Identität Geheimdokumente an Wikileaks auslieferte. Einen hochbezahlten Job mit der global höchst entwickelten Technologie eintauschen mit einer Gefängnispritsche? Der Showdown geschieht in dem Hongkonger Hotel und der Rest ist, frei nach dem amerikanischen Bonmot übersetzt, Geschichte.

Snowden
FR, US, DE, 2016
Biopic
Regie: Oliver Stone
Darsteller: Joseph Gordon-Levitt, Shailene Woodley, Melissa Leo, Zachary Quinto, Tom Wilkinson, Scott Eastwood, u.a.


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