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Wohlen AG: «Ich merke schnell, wenn sie nicht reden wollen.»

Teil 2 unsere Escort-Interviews: Nils (Name von der Redaktion geändert), 25, ist Masseur und will auch so sein Geld verdienen. Er ist halb Ungar, halb Norweger und spricht gut Deutsch. Aufgewachsen ist er in Ungarn, bis er im Juni in die Schweiz gekommen ist. Seit wenigen Wochen hat er in Wohlen ein Studio gemietet, wo er einen Massagetisch und ein Bett zur Verfügung hat. Hier findet unser Gespräch statt. Auf dem Fenstersims stehen schwarze Basaltsteine, in der Ecke ein Dampfgerät.

Interview: Greg Zwygart

Hier gehts zu unseren Interviews mit Alex und Daniel.


Arbeitest du selbstständig als Masseur?
Nein, ich arbeite noch 50% als Masseur in einem Hotel beim Flughafen Zürich, obwohl dieses Pensum nur auf dem Papier existiert. Wir arbeiten alle durchaus mehr als 50%.

Was bietest du deinen Kunden in deiner Freizeit an?
Ich biete meinen Kunden erotische und Erotikmassagen an.

Wo ist da der Unterschied?
Bei der erotischen Massage sind sowohl ich als auch mein Kunde nackt. Ich gebe ihm eine sinnliche Massage von Kopf bis Fuss, hinten und vorne. Dann gebe ich meinen Kunden eine Penismassage, bis sie abspritzen.
Eine Erotikmassage bedeutet bei mir küssen, kuscheln, anfassen und vielleicht auch Oralsex. Meine Kundschaft ist meistens älter und legt mehr Wert auf Sinnlichkeit und Nähe.
Ich mache alles nur safe, denn ich bin angemeldet. Ich muss aufpassen mit meiner Bewilligung. Deswegen kann ich auch nicht soviel Geld verdienen wie andere Escorts, denn sie bezahlen keine Krankenkasse und keine Steuern.


Und das machst du?
Ich zahle es. Ich betrachte das als Schutz. Zudem möchte ich vielleicht in der Schweiz bleiben und meine Kundschaft als Masseur ausbauen. Das will ich mir nicht verbocken.

[quote align=’right‘]Bei vielen Escorts gibt es eine Grenze, und die heisst Geld. Bei mir ist das die Gesundheit.[/quote]Was kostet eine erotische Massage?
100 Franken, wobei ich das nicht viel finde. Viele Kunden fragen mich mit 40 oder 50 Franken an.
Ich achte darauf, dass ich meinen Kunden Qualität biete. Ich massiere zum Beispiel nur mit Weleda-Massageöl.

Sind deine Kunden alles Schweizer?
Meistens Schweizer. Ich habe auch einige deutsche Kunden. Ein paar Mal sind auch schon ältere türkische Männer zu mir gekommen.

Wollen deine Kunden meistens eine erotische Massage oder nur Sex?
Die meisten kommen für die Massage. Wenn ich Nachrichten bekomme, die nur Sex oder etwas eher Aggressives wollen, empfehle ich einen anderen Escort. Ich möchte eher Erfahrungen als Masseur sammeln und meine Kundschaft auch dementsprechend ausbauen.
Es freut mich, wenn mich Kunden nach einer Hot-Stone-Massage fragen. Der Kunde trägt dabei nur seine Unterhose und ich bin normal angezogen. Ich massiere ihn dann mit den Basaltsteinen. Diese Massage kostet 150 Franken und geht fast zwei Stunden. Ohne Erotik oder Sex.
Mein Repertoire ist grösser als erotische Massagen. Ich biete auch Kräuterstempelmassagen an.

Das ist nicht selbstverständlich, dass du andere Escorts weiterempfiehlst.
Ja, ich weiss. Aber andere Escorts kommen nur für eine befristete Zeit in die Schweiz und bleiben in Hotels oder Apartments. Die nehmen alles, was sie bekommen können. Ich bin nicht so. Ich will hier eine Stammkundschaft als Masseur aufbauen.
Ich habe auch schon eine Anfrage als Sklave bekommen. Der Kunde bot mir 3’000 Franken an dafür, dass ich in sein SM-Studio in einer alten Fabrik komme.
Anstatt dass ich Dollarzeichen in den Augen hab, denke ich mir jeweils: Was muss man für 3’000 Franken alles machen?
Wir sind zwar in der Schweiz, aber auch hier gibt es viele kranke Leute. Das ist es mir nicht wert.
Ich schlage auch Angebote aus, Sex ohne Gummi für CHF 600 zu haben. Bei vielen Escorts gibt es eine Grenze, und die heisst Geld. Bei mir ist das die Gesundheit.

Machst du diese Massagen auch im Hotel?
Nur die Kräuterstempel- und die Hot-Stone-Massage, keine erotischen Massagen. Ich habe zwar meinen Chef gefragt, doch der sagt, das sei verboten. Was ich in meiner Freizeit mache, sei ihm egal. Ich müsse einfach aufpassen, dass man mein Gesicht nicht mit dem Hotel in Verbindung bringt.
Mir gefallen die Schweiz, mein Arbeitgeber und mein Arbeitsplatz. Ich habe auch sehr viele nette Leute kennengelernt. Als schwuler Mann in Ungarn hat man es sehr schwer. Eine neue Rechtspartei ist entstanden, die Zigeuner, Schwule und Juden am liebsten wegsperren würde.

Was hast du in Ungarn gemacht?
Nach acht Klassen Grundschule habe ich die Ausbildung zum LKW-Fahrer gemacht. Ich habe aber schnell gemerkt, dass das nicht meine Leidenschaft ist. Die ersten Massagen habe ich zuhause meinen Freunden gegeben. Danach habe ich einige Massagekurse gemacht und in der Ukraine in einem Luxushotel gearbeitet.

[quote align=’right‘] Ich frage sie dann, wieso sie hier sind, wenn sie Frau und Kinder zuhause haben.[/quote]Weiss deine Familie, dass du erotische Massagen anbietest?
Ich habe meine Familie verloren, als ich acht Jahre alt war. Eine Frontalkollision mit einem türkischen Lastwagen.
Als Kind war ich immer sehr traurig. Ich habe aber gelernt, dass man nur einmal lebt und man nur Zeit verliert, wenn man traurig ist.
Ich habe aber gelernt, man lebt nur einmal und wenn man immer traurig ist, verliert man nur Zeit. Ich versuche, das nicht zu zeigen.

Wo bist du denn aufgewachsen?
Bei Nachbarn und bei Familienfreunden. Ich habe zeitweise in einer Küche gewohnt, weil die Wohnung nur fünfzig Quadratmeter gross war.
Ich komme aus einer armen Gegend im Osten Ungarns und es gab Tage, da hatten wir nichts zu essen. Ich habe dann einfach viel Wasser getrunken. Das war eine schwierige Zeit.
Manchmal frage ich meine Kunden, ob sie gebrauchte Kleidung haben, die sie mir mitgeben wollen, wenn ich nach Hause fahre.
Ich habe einmal eine Schweizer Familie in einem Elektronikladen beobachtet. Der Sohn war nicht glücklich mit dem iPhone 4, das der Vater ihm schenken wollte. Er wollte das neue iPhone 5. Mit einem Handy war er nicht zufrieden, er wollte ein besseres.
Wenn ich mit einem Sack alter Kleider in Ungarn ankomme, so haben meine Nachbarn Freude und lachen von Herzen. Ein Sack mit alten Scheisskleidern!
Es ist ein kleines Dorf. Jeder kennt jeden. Wir wohnen wie eine grosse Familie.

Wann bist du in die Schweiz gekommen?
Vor einem Jahr. Die Zeit geht so schnell vorbei! Hier in der Schweiz können sich schwule Männer verpartnern lassen und ein schönes Leben haben. Ich habe mir gedacht, wenn ich als Masseur hier arbeiten könnte, wäre das doch schön. Ich habe meine Lebensläufe verschickt und bin so zum Hotel beim Flughafen bekommen.
In der Schweiz kann man gut leben, soviel kann ich jetzt schon sagen.

Hast du auch heterosexuelle Kunden?
Ja, einige. Ich frage sie dann, wieso sie hier sind, wenn sie Frau und Kinder zuhause haben. Meistens antworten sie, dass sie es einfach ausprobieren wollten. Viele fragen mich, warum ich schwul sei und wann ich es gemerkt habe.
Die erotische Massage geht etwas mehr als eine Stunde. Währenddem er vorher und nachher duscht, kommen wir ins Gespräch. Ich merke schnell, wenn sie nicht reden wollen.

Wieso Wohlen im Aargau?
Ich hab mir eine Karte gekauft und mir angeschaut, wo ich mein Angebot am besten ausbauen könnte. Der Aargau ist das Herz der ganzen Schweiz. Zürich hat viele Schwule, aber das Angebot ist auch sehr gross. Ich habe mich für Wohlen entschieden, weil ich in Lenzburg wohne.

Wieviel Kunden empfängst du pro Woche?
Ich schaue, dass ich jeden Tag einen Kunden habe. Klar könnte ich mehr haben, doch 100 Franken pro Tag ist genug. Ausserdem massiere ich schon genug im Hotel und das kann sehr anstrengend sein. Man bewegt sich ständig, und so bin ich oft müde, wenn ich im Hotel fünf bis sechs Kunden habe und dann hier noch einen.

Wie sieht dein Plan für die Zukunft aus?
Ich will jetzt arbeiten und eine weitere Ausbildung machen. Eine Beziehung kann ich später haben. Heute habe ich zum Beispiel noch einen Termin, später am Abend habe ich Kurs. Morgen arbeite ich ab sechs Uhr morgens und dann ist schon Wochenende und ich bin hier im Studio und im Hotel ausgebucht.
Sonntags schlafe ich etwas länger, schaue aber trotzdem, dass ich hier noch einen Kunden empfangen kann.


«Heute spart man bei Luxusgütern. Und ich bin eben ein Luxusgut.»

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