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Die dramatische Situation von LGBTIQ-Schüler*innen – ein «Weckruf»

Eine Studie hat 800 Oberschüler*innen zwischen 13 und 20 in der Republik Irland zu ihren Erfahrungen befragt und schockierende Antworten bekommen

Coming-out
Symbolfoto: AdobeStock

Für viele ist die Republik Irland ein Paradebeispiel für ein modernes weltoffenes Land, das sich nach Jahrhunderten aus den Fängen der katholischen Kirche und ihrer homophoben Moral befreit hat. Irland hat inzwischen sogar einen offen schwulen Premierminister. Doch nun ergibt eine Umfrage, dass 73 Prozent aller LGBTIQ-Teenager im Land sich in der Schule «unsicher» fühlen und teils dramatische Schikanen erdulden müssen.

Das Schulsystem in der Republik Irland wurde nach den erschütternden Missbrauchsskandalen der katholischen Kirche grundlegend reformiert seit den 1990er-Jahren. Ziel war und ist es, eine tolerantere und weniger vom Vatikan diktierte Geisteshaltung an die Jugend zu vermitteln. Die Früchte dieser Umstellung waren zuletzt in mehreren Grossaktionen zu bestaunen, wobei das Ehereferendum und das zur Abtreibung die bekanntesten Beispiele sind, mit denen die Bevölkerung neue Wege einschlug, trotz des Gezeters vieler Geistlicher.

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Zur Überprüfung der aktuellen Situation hat die Aktivistengruppe «BeLonG To Youth Services» eine Umfrage unter 800 irischen Jugendlichen zwischen 13 und 20 Jahren durchgeführt, in allen 26 Regionen der Republik, also ohne Nordirland. Es handelt sich um die bislang umfangreichste Studie zum irischen Bildungssystem.

Das verstörende Resultat der Befragung lautet: 77 Prozent der LGBTIQ-Teenager haben schon verbale Belästigungen erlebt, d. h. sie wurden beschimpft oder verbal bedroht. 38 Prozent haben sogar körperliche Belästigungen erdulden müssen: sie wurden geschupst oder angerempelt. 11 Prozent berichteten von «ernsthaften körperlichen Angriffen», bei denen sie geschlagen oder getreten wurden bzw. mit einem Gegenstand oder einer Waffe verwundet wurden wegen ihrer sexuellen Orientierung, ihres Geschlechts oder der Art und Weise, wie sie ihrer Gender-Zugehörigkeit Ausdruck verliehen.


Schikane in der Sportumkleidekabine
Ein anonymer Schüler wird in der Studie zitiert mit den Worten: «Ich wurde jede Woche zwischen meinem 14. und 17. Lebensjahr sexuell missbraucht von den Jungs in der Sportumkleidekabine. Sie haben mir auf den Po geklatscht, dann haben sie ihre Finger in meinen Hinter gesteckt, mich begrabscht und an meinem Penis gezogen. Ich hatte Panik vorm Sportunterricht, und das wirkte sich natürlich auch meine Teilnahme am Unterricht aus.»

Jemand anderes berichtet: «Ich habe meinen Freunden im ersten Jahr gesagt, dass ich schwul bin – und sie haben mich dann vor der ganzen Schule geoutet. Es war schrecklich. Die Leute haben Beschimpfungen auf Fotos von mir gekritzelt und diese überall in der Schule aufgehangen. Sie haben solch verächtliche Bemerkungen auch an die Tür meines Schliessfachs geschmiert. Ich habe einer Lehrerin davon erzählt, und sie hat mir einfach nur gesagt, ich hätte mich halt nicht outen sollen – als wäre das alles meine Entscheidung gewesen.»

«Ich fand zerrissene Pride-Fahnen in meinem Schliessfach», erzählt jemand, «es wurden hasserfüllte Nachrichten online gepostet. Auf meinem Tisch im Klassenzimmer lagen Briefe, darin stand ich sei unnatürlich und ein Freak, und ich sollte nicht so sein.»


«Alle hassen mich in meiner Schule», lautet ein weiteres Statement, «ich bin blöd, ich bin nervig, ich bin vollkommen wertlos».

Mobbing von Transstudenten: Ein-Personen-Zoo
Laut Umfrage ist das Mobbing noch extremer im Fall von Transstudent*innen. Von ihnen berichten 55 Prozent, mit transphobe Bemerkungen konfrontiert gewesen zu sein, verglichen mit 48 Prozent homophoben Kommentaren.

Ein Transstudent erzählt: «Wenn Jugendliche wissen, dass du trans bist, dann betrachten sie dich nicht als männlich oder weiblich oder menschlich. Für sie bin ich so etwas wie ein Ein-Personen-Zoo. Daran kann ich nichts ändern, und es löst bei mir permanent Selbstmordgedanken aus.»

Die Folge solcher Erfahrungen ist, dass es für 27 Prozent aller LGBTIQ-Student*innen wahrscheinlicher ist, den Unterricht zu versäumen, für 8 Prozent ist es unwahrscheinlicher, dass sie eine Hochschule oder Universität besuchen werden.

Die Leiterin von «BeLong To», Moninne Griffith, nennt die Ergebnisse der Studie einen «Weckruf». Sie fordert das Bildungsministerium auf, Sofortmassnahmen einzuleiten, die die Sicherheit und das Wohlbefinden von LGBTIQ-Student*innen zur Priorität machen.

«Wir sollten uns nicht täuschen lassen», sagt Griffith, «als LGBTIQ-Jugendliche*r in Irland aufzuwachsen ist kein Rundumregenbogenerlebnis, auch nicht nach dem Ehereferendum. Unsere Ergebnisse zeugen eher von intensiver Diskriminierung, Belästigung, Isolation und Stigmatisierung, die LGBTIQ-Student*innen in Irland erleben. Schlimm ist, dass laut Umfrage einige Lehrer*innen einfach die Augen vor solchen Zuständen verschliessen und manchmal die Situation selbst noch befeuern mit eigenen Anti-LGBTIQ-Bemerkungen.»

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Griffiths Fazit lautet: «Die Umfrage zeichnet ein Bild von Irland, von dem wir gehofft hatten, es hinter uns gelassen zu haben. Wir sind besser als das, und wir haben die Verpflichtung gegenüber unserem LGBTIQ-Nachwuchs, es besser zu machen als es jetzt ist.»

Hinter der glänzenden Wird-sind-großartig-Fassade
Zu den Vorschlägen, die diese Woche mit den Ergebnissen der Umfrage vorgestellt wurden, gehört die Implementierung von Fächern, die Diversity und Respekt vor LGBTIQ lehren. Teil davon sollte sexuelle Aufklärung und Aufklärung zu gesundem Sozialverhalten sein.

Ein schwuler Mitarbeiter der Irish Times kommentiert die Studie gegenüber MANNSCHAFT mit den Worten: «Ich bin nicht wirklich überrascht. Hinter der glänzenden Sind-wir-nicht-grossartig-Fassade von angeblicher Liberalität ist das alte Irland immer noch sehr präsent.»

Immerhin hat die Zeitung über die Studie gross berichtet und dem Problem damit jene Öffentlichkeit verschafft, die dringend nötig ist – auch und gerade in einem LGBTIQ-Vorzeigeland wie Irland.

Katholischer Schulterror in Kalifornien
Zu welch dramatischen Folgen eine katholisches Schulordnung führen kann, sogar in einem liberalen Umfeld, zeigte sich diese Woche in Kalifornien, wo die Studierenden der Bishop Amat Memorial High School geschlossen die Schule in einem Walk-out verliessen, um dagegen zu protestieren, dass die lesbische Studentin Magalo R. von den Lehrern über drei Jahre gezwungen wurde, an Therapiesitzungen mit dem Schulpsychologen teilzunehmen – weil sie eine Freundin hat. Die Drohung lautete, man würde ihre Eltern kontaktieren, falls sie sich der Therapie verweigern sollte.

Die Bishop Amat Memorial High School in Kalifornien (Foto: bishop_amat_hs/ Instagram)

Magalo R. hat den Fall jetzt öffentlich gemacht, woraufhin sich andere und ehemalige Student*innen meldeten, die ähnliche Erfahrungen machten. Auf Twitter sucht eine Frau Kontakt zu Magalo R. und schrieb, ihrem schwulen Bruder sei an der Bishop Amat Memorial High School das gleiche widerfahren.

Die Geschichte erinnert stark ans aktuelle Hit-Musical «The Prom», das Ryan Murphy für Netflix mit Starbesetzung (Meryl Streep, Nicole Kidman, Ariana Grande, Andrew Rannells, James Corden usw.) verfilmt und das 2020 fertig sein soll. Auch dort geht es um homophobes Verhalten an einer Highschool rund um zwei lesbische Schülerinnen, wovon ein Mädchen eine extrem religiöse Mutter hat (gespielt von Kidman).

Nachdem der Fall von Magalo R. bekannt wurde, haben die geschockten Eltern ihre Tochter von der Schule genommen und auf eine andere, weniger von katholischen Moralvorstellungen dominierte Highschool geschickt.

Ob sich die Situation von 73 Prozent der Schüler*innen in Irland auch so leicht lösen lässt, darf bezweifelt werden.


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