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Wenn ein hetero Cis-Mann über Randgruppen witzelt

Die nächste Episode von SRF «Tabu» dreht sich um eine lesbische Frau, einen schwulen Mann und einen trans Mann

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Renato Kaiser führt durch die fünfteilige Sendung «Tabu» (Bild: Stefan Stucki).

Im Fernsehen Witze reissen über Menschen mit Behinderungen, Übergewichtige und LGBTIQs: Geht das? Und ob! Ein Gespräch mit Stand-up-Comedian Renato Kaiser, Host der neuen SRF-Sendung «Tabu».

Letzten Sonntag startete im Schweizer Fernsehen SRF die fünfteilige Serie «Tabu» mit Comedian Renato Kaiser. Die Sendung rückt jede Woche eine andere Gesellschaftsgruppe in den Fokus, die im Mainstream oft noch als Tabu gilt. Am 18. August ging es um körperlich beeinträchtigte Menschen, am 25. August stehen um 21:40 Uhr mit Jeannine Borer, Florian Vock und Henry Hohmann Vertreter*innen der LGBTIQ-Community auf dem Programm. 

Renato, in wenigen Sätzen: Wovon handelt die Sendung «Tabu»?
Um Tabuthemen (lacht)! Es geht darum, das Gespräch über Randgruppen und Minderheiten zu enttabuisieren, zu entspannen und zu normalisieren und sie nicht vom Humor auszuschliessen.

Es geht um Menschen mit Adipositas, Mitglieder der LGBTIQ-Community sowie um Personen mit körperlichen Beeinträchtigungen oder unheilbaren Krankheiten und um solche, die von der Armut betroffen sind. Was haben diese Gruppen gemeinsam?
Eigentlich nur, dass sie ein Tabuthema sind und dass sie oft für einen Witz herhalten müssen bei Menschen, die sich nicht ausreichend über ihre Ausgangslage informiert haben.


Allerdings ist es mir ein Anliegen, dass man diese Gruppen eben nicht miteinander vergleicht. Erstens ist es gefährlich, zum Beispiel Menschen mit einer unheilbaren Krankheit und LGBTIQs in einem Atemzug zu erwähnen, da es leider immer noch Personen gibt, die Homosexualität oder Transgeschlechtlichkeit als Krankheit verstehen. Zweitens kämpft jede Gruppe zwar mit ähnlichen Mechanismen der Stigmatisierung, ist schlussendlich aber mit ihren eigenen Problemen konfrontiert.

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Renato Kaiser, Jeannine Borer, Florian Vock und Henry Hohmann (von links nach rechts). (Bild: SRF/Marion Nitsch)

Wie innerhalb der LGBTIQ-Community auch.
Diese Gruppe ist unter den Tabuthemen sicherlich die vielfältigste. Bei Menschen mit Adipositas sind alle vom Gleichen betroffen, bei der LGBTIQ-Community sehen die Herausforderungen ganz anders aus. Das sieht man bereits bei den drei Vertreter*innen, die wir in der Sendung gehabt haben.

Bei LGBTIQ-Personen könnte man im Gegensatz zu den anderen Gruppen sagen, dass die Tabuisierung in der Gesellschaft je länger wie mehr abnimmt.
Schwierig zu sagen, die Enttabuisierung hat viele Gesichter. Die LGBTIQ-Community ist sicherlich sehr präsent – das kommt aber auch darauf an, wo man wohnt und mit wem man es zu tun hat. In der Schweiz gibt es jedoch immer noch Menschen, die keine Ahnung haben, dass trans Menschen existieren. Zudem ist es auch für einen schwulen Mann noch nicht normal, mit seinem Partner Händchen haltend durch die Stadt zu gehen. Man sagt gerne, dass in der Schweiz so etwas wie Homophobie nicht mehr existiert. Dann geschehen aber so Dinge wie beim Fanmarsch in Bern diese Woche, wo man eine Regenbogenfahne mit Bierdosen bewarf, nur weil es eine Regenbogenfahne ist.


Der Kampf um gleiche Rechte für LGBTIQs ist zur Bewegung geworden, wobei man sagen muss, dass trans Menschen noch ganz am Anfang dieser Bewegung stehen. Aber das muss ich ja dir und deinen Leser*innen nicht erklären (lacht).

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Welche Erkenntnis hat dich während den Dreharbeiten besonders überrascht?
Das klingt zwar nicht überraschend, aber es ist so, dass die Arbeit wirklich nie aufhört. Das Fördern von Toleranz und Integration geht immer weiter. Man hat nie das Gefühl: So, jetzt weiss ich alles.

Kannst du Beispiele nennen?
Bei den körperlich beeinträchtigten Menschen meint die Gesellschaft beispielsweise oft, dass eine Person im Rollstuhl dann unabhängig ist, wenn sie mit Hilfe einer Begleitperson klarkommt. Dabei sollten Menschen mit Behinderung ganz alleine selbständig unterwegs sein können, wie wir alle auch.

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Die erste Folge von «Tabu» drehte sich um Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen. (Bild: SRF/Merly Knörle)

Und bei der LGBTIQ-Community?
Über das Thema Trans war ich am wenigsten informiert. Henry hatte seine Transition relativ spät mit 47 Jahren absolviert. Durch die Hormonbehandlung durchlief er so etwas wie eine zweite Pubertät und das fand ich sehr interessant. Er erzählte, dass er wie ein Teenager viel übermütiger geworden sei und alle Sicherheiten über Bord geworfen habe. An so etwas hätte ich nie gedacht.

Ein schlechter Witz ist nie geil.

Für dich als Stand-up-Comedian geht es aber auch um Humor. Man darf also Witze über Randgruppen machen?
Logisch! Grundsätzlich darf man Witze über alles machen. Wichtig ist, dass man sich beim Humor Mühe gibt, denn ein schlechter Witz ist nie geil. Geht es um Randgruppen und Minderheiten, muss man sich besonders gut informieren. Doch selbst wenn ich einen Witz gut durchdacht habe und ihn dann auch bringe, heisst das noch lange nicht, dass er gelungen ist.

Wann ist der schmale Grat überschritten?
Schwierig. Im Prozess kann man das nicht beurteilen, denn als Comedian arbeitet man alleine oder mit einer kleinen Gruppe zusammen. Ob der Witz ankommt, merkt man erst, wenn man ihn auf der Bühne vor einem grösseren Publikum vorträgt. Von einer Pointe kann ich noch so überzeugt sein, findet aber eine und vor allem dann auch mehrere Personen aber, «Alter, Nein, das geht nicht», dann muss ich darauf eingehen. Tue ich das nicht, wäre das extrem egozentrisch.

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Ob Henry, Jeannine und Florian Renatios Witze lustig finden? (BIld: SRF/Nici Jost)

Oft hört man die Aussage: Ich darf das, ich bin selber eine Randgruppe. Stimmt das?
Grundsätzlich ja. Natürlich kann ein Mitglied der LGBTIQ-Community eher einen Schwulenwitz machen als ich weisser Cis-Hetero, der sich zuerst noch ins Thema einlesen muss. Der Wissensvorsprung, den man als – ich sage mal «Betroffener» – hat, ist aufgrund der gelebten Erfahrung und des Coming-outs riesig. Es ist aber kein Freibrief: Macht eine lesbische Frau schlechte Witze, sagt das Publikum auch: «Das war jetzt nicht so geil.»

Leider haben viele heterosexuelle weisse Cis-Männer keine Ahnung von Grenzen und sehen das mit der Meinungsfreiheit gar einfach und vor allem bequem.

Es gibt Komiker, die sagen: «In der ersten Reihe sitzen Rollstuhlgänger, also darf ich das.» Oder: «Einige meiner besten Freunde sind Ausländer. Ich darf das.» Leider haben viele heterosexuelle weisse Cis-Männer keine Ahnung von Grenzen und sehen das mit der Meinungsfreiheit gar einfach und vor allem bequem. Man darf die Geschichte nicht vergessen. Ich musste nicht mein ganzes Leben lang vorsichtig sein mit dem, was ich bin oder mit dem, was ich sage. Die LGBTIQ-Community hingegen schon.

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In der Sendung gehst du jeweils auf die Bühne und machst Witze über die Randgruppe. Hattest du nie Bedenken, jemandem zu nahe zu treten?
Daran gedacht habe ich schon. Es half aber natürlich, dass ich mehrere Tage mit den einzelnen Gruppen verbringen und alle kennenlernen konnte. Bei der LGBTIQ-Gruppe hatte ich schon ein bisschen Angst, etwas falsch zu machen – gerade weil es so eine diverse Gruppe ist. Zum Beispiel habe ich auf der Bühne ein Wort gesagt, das nicht ganz als problemfrei gilt: umoperiert. Ich sagte: «Wenn es nicht so eine krasse Entscheidung wäre, würden sich viel mehr Frauen zu Männer umoperieren, damit sie den gleichen Lohn bekommen.»

Gleichzeitig war die Sendung auch genau dafür da, um hin und wieder ins Fettnäpfchen zu treten. Es wäre nicht lustig, würde ich als studierter Professor der Gender Studies alles fehlerfrei durchspielen.

War Intersektionalität kein Thema bei der Sendung?
Klar gibt es Schnittmengen, zum Beispiel die Sexualität einer Person im Rollstuhl. Oder die körperlichen Beeinträchtigungen, die mit unheilbaren Krankheiten einhergehen. Aus Zeitgründen mussten wir eine klare Trennung schaffen, damit die einzelnen Tabuthemen nicht zu kurz kommen.

Allerdings fände ich es sehr spannend, eine Art «Tabu Deluxe» zu machen mit Protagonist*innen, die mindestens drei Tabuthemen erfüllen. «Was, du bist nur körperlich behindert und lesbisch? Sorry, das ist zu wenig!» Für den Stand-up wäre das das Geilste, da sich Vergleiche untereinander anbieten würden. Wie «gut» man es im Verhältnis zur anderen Person hat, und so weiter. Damit das funktioniert, müsste man eine abgeschlossene Gruppe von Menschen haben, die mit mehreren Tabus behaftet sind.

«Tabu» mit Fokus LGBTIQ läuft am 25. August 2019 um 21:40 Uhr auf SRF 1. Die erste Folge über körperlich beeinträchtigte Menschen ist innerhalb der Schweiz via SRF Play abrufbar.

 


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