in

Pride in Deutschland – eine verhältnismässig graue Zeit

Warum können Städte wie Berlin nicht, was London oder Tel Aviv auf die Beine stellen, fragt unser Samstagskommentator

Pride in Deutschland
Jetzt hat auch die Stadt Zürich einen Regenbogenstreifen, wenn auch nur für die Dauer der Zurich Pride. (Bild: Mannschaft Magazin)

Während in Städten wie London und Tel Aviv die halbe Stadt mit dem Zeichen des Regenbogens tapeziert ist, scheint zur Pride in Deutschland eine Kultur der Spassbremserei am Werke zu sein, stellt Jan Feddersen in seinem Samstagskommentar* fest.

Es wird ja wieder gross mit den CSDs in Deutschland, am Sonntag in Köln, bereits gelaufen in Potsdam, Oldenburg, Jena, Cloppenburg, Schwerin und Hanau … und es folgen noch Pride-Paraden in München, Berlin und Hamburg. Das Finale der deutschen CSD-Saison wird am 14. September in Gera sein. Es sind so viele Orte und Städte, die wir bespassen und an denen wir uns mit dem LGBTIQ-Bewusstsein zeigen.

Deine MANNSCHAFT-Sommerlektüre ist da!

Erstaunlich, was sich seit 1979 getan hat – damals, als die ersten zwei CSDs im Geiste der Unruhen im New Yorker Sommer 1969 organisiert wurden, in Bremen und Westberlin. Ich war dabei, in Bremen vor 40 Jahren: Wir waren eine kleine Horde, es war für Aussenstehende absolut unverständlich – Schwule auf der Strasse und dann noch demonstrierend! Bitte? –, es war auch irgendwie mutig, es klopfte einem das Herz ein bisschen, aber es war auch klar: Das machen wir jetzt – nicht mehr unsagbar sein, für Rechte, für eigene Interessen einstehen, sich dafür herzeigen, dass die Qualität der Beschämung gegen uns durch uns eine Antwort erhält.

Und jetzt sind wir überall, sogar, man staune, in Cloppenburg und Aschaffenburg, in, gemessen an Metropolen wie Berlin, provinzielle Flecken, die sich ausserdem, noch ein Gewinn, nicht mehr schüchtern zeigen und eingeschüchtert sind, weil sie mit den grossen CSDs nicht mithalten können. Doch, können sie, natürlich: In den kleinen Städten ist an unserer regenbogenbunten Patchworkdecke nicht minder herumzuklöppeln. In der Grossstadt kann ja jeder mitmachen, aber in der Provinz ist es schwerer, man fällt auch als Queer-Pride-Teilnehmer*in mehr auf: das ist dann immer noch echt couragiert.


Die halbe Stadt war mit dem Regenbogen tapeziert
Und doch: In Deutschland, scheint mir, eine Kultur der Spassbremserei am Werke zu sein. Neulich erzählte ein Freund, ein paar Tage zu Gast in Tel Aviv, er habe sich dort gar nicht retten können vor Regenbogenwimpeln, Flaggen und Zeichen – überall der Regenbogen, und alle hätten das gut gefunden, auch die Heteros. Das gleiche Bild neulich, als mein Mann und ich in London zum Gladys-Knight-Konzert in der Royal Albert Hall einflogen – das war eine Woche vor der dortigen CSD-Parade und die halbe Stadt war mit dem Zeichen des Regenbogens tapeziert. Und hörte man Leuten von unsereins in der Old Compton Street, begrüssten oder verabschiedeten sie sich mit «Happy Pride» – ein Gruss, den man sich merken muss.

Happy Pride – das ist für unsere CSD-Feiersaison so ähnlich fundamental wie für Christ*innen vom 24. Dezember an «Frohe Weihnachten» oder wie für andere andere Feste wichtig sind und eine mündliche Bestätigung für dax gemeinsam Erlebte und zu Erlebende, jedenfalls zu Feiernde brauchen und es gern haben.

Pride in Deutschland
Der Regenbogen ist auch in einer Edelpatisserie in der Old Compton Street eingezogen (Foto: privat)

Aber in Deutschland wirkt das meiste unserer bunten Feier- und Demonstrationskultur eher wie ein Waschmaschinendesaster: Man steckte farbenfrohe Hemden in die Trommel – und bekommt blass gewordene Textilien heraus. Berlin ist jedenfalls nicht in Gefahr, ein regenbogenbuntes Stadtbild zu bieten, wenn es Ende Juli zum CSD-Showdown rund ums Brandenburger Tor kommt. Auch Köln – obwohl ich deren CSD sehr, sehr mag – hat nicht diese Feierlichkeit, wie er in New York City zum World Pride zelebriert wurde: Als schämten wir uns, gute Laune im Kreise von vielen zu zeigen, feierliche Ansprüchlichkeit, dass unser Kampf für eine offene Gesellschaft (und der schliesst auch den gegen Rechtspopulisten mit ein) noch lange nicht zu Ende ist!


Regenbogen-Zebrastreifen und Ampelpaare für Zurich Pride

Vielleicht liegt es daran, dass die offizielle Schwulenbewegung, falls ich das mal so sagen darf, die Kämpfe um Rechts- und Statusverbesserung (Ehe für alle etc.) nicht so recht von Herzen mitgetragen hat und aus identitätssucherischen Gründen sich mit dem katholischen Klerus lieber gemein machte und die bürgerrechtliche Gleichstellung Homosexueller ablehnte. Und was wir noch erreicht haben: Wir haben für Sagbarkeit gesorgt, wir sind nicht mehr verschämt-defensiv, wir haben viel mehr erreicht als wir uns vor 40 Jahren zu träumen wagten.

Wir sind unausrottbar. Gut so!

Und es muss noch weiter gehen – aber dazu gehört auch: Dass wir die Städte mit Regenbögen tapezieren, dass wir dafür sorgen, dass wir auch visuell zur Macht werden, in den Stadtbildern, eigentlich überall. Wir sind, um ein Wort des CSD 1979 in Bremen aufzugreifen, vor allem dies: unausrottbar! Gut, so – und feiern wir uns mit anderen so, wie es sich international gehört: hymnisch und pathetisch. Als ob wir das nicht könnten!

*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.


Berlin

Homophober Angriff – Frau im Gesicht verletzt

Pride Kommerz

Kritik an London Pride: Kommerz, Bürokratie und Pinkwashing