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«Hetero-Regisseure finden mich oft zu feminin. Fuck them all!»

Félix Maritaud war bereits in mehreren französischen Produktionen zu sehen, darunter «120 BPM», «Jonas» und «Sauvage».

Félix Maritaud
Für die ungeschönte Darstellung des Lebens eines Escorts im Film «Sauvage» wurde Félix Maritaud mehrfach ausgezeichnet. (BIld: Salzgeber)

Mit verpenntem Blick und leicht zerschlissenem Strickpulli erscheint Félix Maritaud zum Interview. In der Luft liegt ein Hauch des letzten Joints. Der 26-jährige Schauspieler ist kein gewöhnlicher Newcomer. Nicht zuletzt auch, weil er aus seiner Homosexualität nie einen Hehl gemacht hat.

Félix, für «Sauvage» bist du mit zwei Preisen ausgezeichnet worden. Wie hat sich dein Leben durch diese Hauptrolle verändert?
Ach, ich weiss nicht. Das Leben verändert sich doch ständig, auch ohne Hauptrollen und Preise. Mein Alltag ist auf jeden Fall nicht prinzipiell anders als noch vor einem Jahr. Mit der Ausnahme vielleicht, dass ich inzwischen ein paar coolere Klamotten im Schrank habe (lacht). Was sich verändert hat, ist die Wahrnehmung der Leute, vor allem innerhalb der Filmbranche. Und ihr Auftreten mir gegenüber.

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Du wirkst nicht wie jemand, der viel auf Branchengetue gibt. Hat dich der Preis in Cannes überhaupt interessiert?
Doch, doch, das war schon eine tolle Sache, dort ausgezeichnet zu werden. Schon allein, weil die Jury so sexy war: der Regisseur Joachim Trier, Chloë Sevigny, mein Kollege und Freund Nahuel Pérez Biscayart aus «120 BPM»! Aber es stimmt schon, insgesamt interessieren mich Preise nicht annähernd so sehr wie meine eigentliche Arbeit. Es ist natürlich schön, bei Filmfestivals andere Schauspieler*innen und Filmschaffende zu treffen, und es ist besonders nett, wenn man spürt, dass anderen Menschen meine Arbeit gefallen hat. Am liebsten würde ich aber auf solche Promotions- und Pressetermine verzichten und diese Zeit besser dafür nutzen, den nächsten Film zu drehen.

«120 BPM» war 2017 dein erster Film überhaupt. Wie bist du eigentlich zur Schauspielerei gekommen?
Sagen wir mal so: Der Gedanke, Schauspieler zu werden, kam mir eigentlich erst nachdem wir «120 BPM» gedreht hatten. Vorher hatte ich mal Kunst studiert, habe gekellnert und dann eigentlich überlegt, vielleicht Gärtner zu werden. Ein bisschen war ich auf der Suche, ohne zu wissen, wonach genau. Doch dann hat mich ein Casting-­Agent in einer Bar entdeckt und zum Vorsprechen eingeladen. Der Dreh zu «120 BPM» hat mir Spass gemacht, und als sich anschliessend die Möglichkeit ergab, noch ein bisschen mehr zu machen, merkte ich, wie viel Lust ich darauf habe.


Gerade heute Vormittag hatte ich schon wieder ein Casting, bei dem mir gesagt wurde, ich sei zu feminin.

Also hast du gefunden, wonach du gesucht hast?
Fühlt sich zumindest im Moment so an. Ich glaube, das war Schicksal (lacht). Bei «120 BPM» habe ich gemerkt, dass ich das noch häufiger machen will. Und als ich dann die Hauptrolle in «Sauvage» spielte, wurde mir klar, dass ich wirklich Schauspieler sein will. Oder nein, anders: Mir wurde klar, dass ich ein Schauspieler bin. Ich muss das machen, wenn ich glücklich und zufrieden sein will.

Félix Maritaud
Das AIDS-Drama «120 BPM» ist Maritauds erster Film. Ein Agent hatte ihn in einer Bar entdeckt und zum Casting eingeladen. (Bild: Salzgeber)

Du hast von Anfang an keinen Hehl daraus gemacht, dass du schwul bist, was für einen Schauspieler am Beginn seiner Karriere noch immer ziemlich ungewöhnlich ist.
Ich glaube, alle anderen Menschen, mit denen ich beruflich zu tun habe, machen sich darüber sehr viel mehr Gedanken, als ich es je getan habe. Glaub mir: die Sache ist ständig Thema. Aber es ist längst zu spät, zu verstecken, wer ich wirklich bin. Ausserdem habe ich darauf nicht die geringste Lust. Ich bin niemand, der sich aus opportunistischen Gründen in irgendeinem System assimiliert. Und wenn ich eine gute Karriere als Schauspieler haben will, dann kann ich das nur, indem ich mich selbst als Person respektiere.

Ich habe schon etliche heterosexuelle Regisseure erlebt, die sich nicht vorstellen können, dass ich auch über­zeugend einen Heteromann spielen kann.

Bislang hast du schwule Rollen für schwule Regisseure gespielt. Befürchtest du, dass es darüber hinaus schwierig werden könnte, was neue Angebote angeht?
Ich bin gespannt, was passieren wird. Ich habe schon etliche heterosexuelle Regisseure erlebt, die tatsächlich Berührungsängste hatten. Die haben mich in der Schublade «homosexuell» abgelegt und können sich nicht vorstellen, dass ich auch überzeugend einen Heteromann spielen kann. Aber sorry, das ist Bullshit. Ich weiss genau, was ich zu einer Rolle beitragen kann, wenn ich dafür vorspreche. Und wenn diese Typen das nicht sehen, dann fehlt ihnen scheinbar das Selbstbewusstsein dafür, mit mir zu arbeiten. Wer glaubt, ich sei zu feminin, um einen Heterosexuellen zu spielen, ist so engstirnig und gestrig, dass ich damit ohnehin nichts zu tun haben möchte. Ich habe 20 Jahre meines Lebens damit verbracht, zu akzeptieren, wer ich bin, und werde einen Teufel tun, daran nun plötzlich etwas zu ändern. Fuck them all!


Das ausführliche Interview ist in der April-Ausgabe der MANNSCHAFT erschienen. Hier geht es zum Abo Deutschland und hier zum Abo Schweiz.

«Sauvage» ist ab 9. Mai in den Schweizer Kinos zu sehen. In Deutschland ist der Film via Salzgeber erhältlich.


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