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«Krank» – Kommentar über Conchita ist Verstoss gegen Menschenwürde

Ein Artikel im Boulevardblatt Kronen Zeitung, in dem die 2014er ESC-Siegerin u. a. als «verhaltensgestört» bezeichnet wurde, wurde vom Presserat gerügt

Der Senat 1 des österreichischen Presserats beschäftigte sich mit dem Kommentar «Post von Jeannée» mit dem Titel «Liebe Conchita“, erschienen in der Kronen Zeitung am 2. März 2019. Nach Meinung des Senats verstösst der Text über Conchita Wurst gegen den Ehrenkodex für die österreichische Presse.

Der Kommentar richtet sich in der für Michael Jeannée üblichen Briefform an die österreichische ESC-Siegerin Conchita Wurst. Der Kolumnist thematisierte ihre Kleidung auf dem Opernball 2019, die aus einem weissen, bodenlangen Rock und einem engen, weit ausgeschnittenen Top bestand. Dem Kommentar war ein Foto von Conchita in ihrem Outfit beigefügt.

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Nachdem der Autor die Meinung kundtut, dass Conchita «eigentlich einen Frack [hätte] tragen müssen», hält er fest, dass ihm dazu „ohne Anspruch auf Vollständigkeit» Folgendes einfalle: «Absonderlich, ausgefallen, befremdend, bizarr. Eigenartig, exotisch, extravagant, kapriziös. Seltsam, verhaltensgestört, krank. Spektakulär, kurios, bedenklich, Sorge bereitend, irre. Überdreht, verrückt, verstiegen. Phantasmagorisch, absurd, unkonventionell, schräg, spinnig, grenzwertig.»

Mehrere Leser*innen kritisieren, dass einige dieser Ausdrücke die Menschenwürde von Conchita Wurst verletzen würden. Die Medieninhaberin machte von der Möglichkeit, im Verfahren eine schriftliche Stellungnahme abzugeben oder an der Verhandlung vor dem Senat teilzunehmen, keinen Gebrauch.


Äusserungen, die die Menschenwürde unmittelbar verletzen, können auch in einem Kommentar nicht mit der Meinungsfreiheit gerechtfertigt werden

Der Senat betont, dass die Achtung der Menschenwürde eines der wichtigsten medienethischen Prinzipien ist (siehe Punkt 5.1 des Ehrenkodex), weil sie den Kern der Persönlichkeitssphäre betrifft. Ein Eingriff in die Menschenwürde liegt dann vor, wenn es zu einer menschenverachtenden Herabsetzung einer Person kommt. Im vorliegenden Fall handelt es sich um einen Kommentar. Die Senate des Presserats haben bereits mehrfach festgestellt, dass bei Kommentaren die Meinungsfreiheit grosszügig auszulegen ist. Äusserungen, die die Menschenwürde unmittelbar verletzen, können jedoch auch in einem Kommentar nicht mit der Presse- und Meinungsfreiheit gerechtfertigt werden.

Hier wird in die Menschenwürde der Künstlerin eingegriffen
Nach Auffassung des Senats sind die im Kommentar verwendeten Begriffe «verhaltensgestört» und «krank» geeignet, in die Menschenwürde der betroffenen Künstlerin einzugreifen. Die Kritik des Autors am öffentlichen Auftritt der Künstlerin am Opernball hätte auch ohne die persönlichkeitsverletzenden Begriffe geäussert werden können. Darüber hinaus hält der Senat fest, dass es sich bei Conchita Wurst um eine Person handelt, die über einen hohen Bekanntheitsgrad verfügt und am öffentlichen Leben teilnimmt.

Sie geniesse daher grundsätzlich weniger Persönlichkeitsschutz als eine Privatperson. Grobe und menschenverachtende Charakterisierungen wie im vorliegenden Fall müssen aber auch in der Öffentlichkeit stehende Personen nicht hinnehmen. Daraus ergebe sich, dass der Kommentar die Künstlerin verunglimpft und ihre Menschenwürde verletzt (siehe die Punkte 5.2 und 5.1 des Ehrenkodex). Der Senat fordert die Kronen Zeitung auf, die Entscheidung freiwillig zu veröffentlichen.


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Der Presserat ist laut Selbstbeschreibung ein Verein, der sich für verantwortungsvollen Journalismus einsetzt und dem die wichtigsten Journalisten- und Verlegerverbände Österreichs angehören. Die Mitglieder der Senate des Presserats sind weisungsfrei und unabhängig. Im vorliegenden Fall führte der Senat 1 des Presserats aufgrund mehrerer Mitteilungen von Leserinnen und Leser ein Verfahren durch (selbständiges Verfahren aufgrund einer Mitteilung). In diesem Verfahren äussert der Senat seine Meinung, ob eine Veröffentlichung den Grundsätzen der Medienethik entspricht.

Die Medieninhaberin von der Kronen Zeitung hat von der Möglichkeit, an dem Verfahren teilzunehmen, nicht Gebrauch gemacht. Die Medieninhaberin der Kronen Zeitung hat die Schiedsgerichtsbarkeit des Presserats bisher nicht anerkannt.


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