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LGBTIQ-Geflüchtete in Thessaloniki: Natasha

Natasha fürchtete sich so sehr vor ihrer Überfahrt nach Griechenland, dass sie während der gesamten drei Stunden auf hoher See in der Mitte des Boots kauerte und ihre Augen mit den Händen verdeckte. Die Fahrt kostete 700 Euro, doch einige Passagiere – darunter auch eine Bekannte von Natasha – bezahlten sie zusätzlich mit ihrem Leben.
Die 27-jährige Natasha fühlt sich weiblich, seit sie denken kann. Sie wuchs mit vier Brüdern und vier Schwestern in extremer Armut in der Stadt Gujranwala im Nordosten Pakistans auf und begleitete bereits als Kleinkind ihre Mutter zum Betteln auf die Strasse.

Mit sieben Jahren liess sie ihre Haare wachsen und begann sich so zu kleiden, wie es für Mädchen in ihrem Alter typisch war. Damit erzürnte sie ihren Vater und ihre Brüder, die sie fortan regelmässig schlugen. Daran konnten auch ihre Schwestern und ihre Mutter nichts ändern, die oft dazwischenschritten. Sogar ihre Lehrer schlugen immer wieder auf sie ein, so dass sie die Schule nach wenigen Monaten abbrechen musste. Für Geld putzte sie mit 12 Jahren die Häuser fremder Menschen, mit 15 tanzte sie auf der Strasse.

Mit Anfang zwanzig begann Natasha mit der Einnahme von weiblichen Hormonen, eine Weile später ging sie eine Beziehung mit einem Jungen ein. Als die Beziehung ans Licht kam, jagte der Vater sie aus dem Haus und Natasha fand Arbeit in einem Club als Tänzerin. Ihre Mutter nahm sie in dieser Zeit immer wieder heimlich zuhause auf, wenn der Vater nicht in der Nähe war. Nachdem auch die Familie ihres Partners von der Beziehung erfuhr, rief diese die Polizei, und Natasha wurde verhaftet. Die Polizisten schlugen und beschimpften sie während mehrerer Tage und liessen sie erst wieder gehen, nachdem ihre Schwester ein Schmiergeld bezahlt hatte. «Trans Frauen haben einen schweren Stand in Pakistan», sagt Natasha in gebrochenem Englisch. Ihnen bleibe oft keine andere Möglichkeit, als ihren Körper für Geld zu verkaufen.


Nachts lauern die Polizisten den trans Frauen auf und nehmen ihnen das Geld weg, das sie verdient haben. Nicht selten vergewaltigen sie sie auch.

Natasha hatte bereits zwei Selbstmordversuche hinter sich, als ihre Mutter und ihre Schwestern ihr zur Flucht rieten. Ohne das Wissen ihres Ehemannes und ihrer Söhne pfändete Natashas Mutter das Haus der Familie für rund 2000 Euro – ein Vermögen in Anbetracht des monatlichen Haushaltseinkommens von knapp zehn Euro. Für ihre bevorstehende Flucht nahm Natasha ein männliches Aussehen an: Sie schnitt ihre Haare und setzte ihre Hormone ab. Per Bus gelangte sie in die iranische Hauptstadt Teheran, wo sie sich einer Gruppe anschloss und sich auf einen über 2500 km langen Fussmarsch (!) nach Istanbul begab. Die Reise dauerte mehrere Monate, fünf aus ihrer Gruppe überlebten nicht.

In Istanbul angekommen, arbeitete Natasha während drei Monaten für einen Textilhersteller. Doch statt ihr die versprochenen 200 Euro zu bezahlen, zerstörten die Arbeitgeber ihre Papiere und drohten ihr mit der Polizei. Natasha sah sich dazu gezwungen, ihre Mutter und ihre Schwestern erneut um Geld zu bitten, dieses Mal für die Überfahrt nach Lesbos.

Es war 2016, als Natasha in Athen während mehrerer Monate für einen pakistanischen Landsmann als Fruchtpflückerin arbeitete. Nebst harter körperlicher Arbeit wurde sie sexuell ausgebeutet und wartete auch dieses Mal vergeblich auf ihren versprochenen Lohn. Sie entschied sich erneut zur Flucht und fuhr mit dem Bus nach Idomeni an die griechisch-mazedonische Grenze. Doch sie kam zu spät. Die Balkanroute wurde geschlossen, und so gab es für Natasha kein Überqueren der Grenze. Ohne Geld in der Tasche sass sie im dortigen Flüchtlingslager fest.


Als eine Flüchtlingshelferin in Idomeni auf Natasha traf, hatte sie im Lager erneut Gewalt, Beschimpfungen und gar ein Vergewaltigungsversuch erlebt. Gemeinsam mit anderen Freiwilligen beschloss die Helferin, dass für LGBTIQ-Flüchtlinge wie Natasha etwas getan werden musste. Natasha wurde somit zum Eclipse-­Mitglied der ersten Stunde.

Heute wohnt Natasha in einer gemeinsamen Wohnung mit Ahmed in Thessaloniki. Durch Eclipse erhält sie regelmässig Englisch- und Griechisch­unterricht. Mit dem Englisch gehts so. Mit dem Griechisch … sie verzieht das Gesicht und lacht. Am liebsten würde sie nach Spanien ziehen.
Natasha telefoniert regelmässig mit ihrer Mutter und ihren Schwestern. Dank einer durch Flüchtlingshelferinnen initiierten Fundraising-Kampagne konnte sie ihnen das geliehene Geld wieder zurückzahlen. Als Freiwillige hilft Natasha im Lagerhaus einer Flüchtlingsorganisation aus, träumt aber von einer Arbeit als Kosmetikerin. Auch sie will sich nicht auf eine Lieblingsaktivität bei Eclipse festlegen, gesteht dann aber, dass ihr das Kochen und das Veranstalten von Partys besonders Spass macht. «Und ich bin gerne fürs Schminken zuständig», sagt sie lachend.

Seit 2017 ist es für griechische Staatsbürger*innen möglich, ohne operative Eingriffe das Geschlecht in amtlichen Dokumenten zu ändern. Um auch als Asylsuchende von diesem neuen Gesetz zu profitieren, ging Natasha mit Hilfe von Eclipse im März vor Gericht. Das Urteil steht bis heute aus. «Eclipse hat sehr viel für mich getan und dafür bin ich unendlich dankbar», sagt sie. «In Pakistan war ich nie stark. Hier bin ich es.»


Redaktor Greg Zwygart hat Eclipse in Thessaloniki besucht und sich von der Supportgruppe überzeugen können. Bis 31. August 2018 sammelt die Mannschaft Geld, um Eclipse bei der Arbeit zu unterstützten. Jeder Betrag hilft: Sei es, um den Fahrpreis für den Bus nach Thessaloniki zu bezahlen, sei es für das Bereitstellen von Lebensmitteln oder das Organisieren von Unterkünften.

Mehr Informationen findest du auf unserer Website: mannschaft.com/eclipse

Die Geschichte von Natasha auf Vimeo


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