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LGBTIQ-Geflüchtete in Thessaloniki: Ahmed

Es sind die hohen Wellen, an die sich Ahmed besonders gut erinnert. «Sie waren über zwei Meter hoch!», sagt er. In einer pechschwarzen Nacht vor knapp zwei Jahren zwängte sich Ahmed mit 17 anderen Menschen in das Motorboot eines Schmugglers, der sie von der Türkei auf Lesbos bringen sollte. Trotz unruhiger See schafften es alle auf die griechische Insel.

Ahmed spricht fliessend Englisch und engagiert sich seit seiner Ankunft in Thessaloniki vor neun Monaten als Dolmetscher zwischen den anderen Flüchtlingen und den Behörden. Für «Eclipse» übersetzt er Texte ins Arabische und begleitet Flüchtlinge, die sich weder auf Englisch noch auf Griechisch verständigen können, zu Arztterminen im Krankenhaus.

Der 20-jährige Iraker genoss eine erstklassige Schulbildung und ist als Sohn eines gut gestellten Regierungsbeamten in einer bewachten Wohnanlage Bagdads aufgewachsen. Mit 17 Jahren hatte Ahmed seinen ersten Freund. «Wir waren sehr verliebt», sagt er mit einem Lächeln. Zum Verhängnis der beiden wurde Ahmeds jüngerer Bruder, der die beiden beim Küssen erwischte und den Eltern davon erzählte. «Dann begannen sie mich zu schlagen», sagt er. Es ist ein Satz, den Ahmed im Laufe seiner Geschichte immer wieder sagen wird.


«Er sagte mir, dass man mich in Europa akzeptieren würde, und gab mir Geld»

Auch Ahmeds Onkel, der in Europa wohnt und seinen Urlaub im Irak verbrachte, bekam die ständigen Prügeleien mit und zog seinen Neffen in einem Vertrauensmoment zur Seite. «Er sagte mir, dass man mich in Europa akzeptieren würde, und gab mir Geld», sagt Ahmed. Vom Onkel ermutigt, beschloss er zu fliehen.

Irakische Flüchtlinge fliegen oft zuerst in die Türkei, die sie visumsfrei betreten dürfen. Ahmed hatte diese Möglichkeit nicht, denn sein Vater liess seine Regierungskontakte am Flughafen spielen, um seinen Sohn auf die schwarze Liste zu setzen. «Er sagte ihnen, dass man mich sofort verhaften und ins Gefängnis stecken solle», sagt er.

«Ich hatte eine unglaubliche Angst, denn sie sagten mir, dass mein Vater mich tot sehen wolle»

Ahmed reiste an die nordirakische Grenze, wo er zu Fuss in die Türkei einreiste und dann nach Istanbul fuhr. Doch die Kontakte seines Vaters reichten bis in die Türkei. «Ich war schon einen Monat in Istanbul und wollte eigentlich dort bleiben, als ich meinen Nachbarn aus dem Irak über den Weg gelaufen bin», sagt er. «Dann begannen sie mich zu schlagen. Ich hatte eine unglaubliche Angst, denn sie sagten mir, dass mein Vater mich tot sehen wolle». Ahmed entkam ihnen und beschloss die Flucht nach Griechenland.
Nach seiner Ankunft auf Lesbos verbrachte Ahmed sechs Monate in einem Erstempfangslager, das aus Containern bestand. Hier werden Flüchtlinge auf ihre «Vulnerability» – ihre Verletzlichkeit – geprüft, bevor sie einen Asylantrag stellen dürfen. Vorher dürfen sie die Insel nicht verlassen. Die Tage waren lang, es gab nichts zu tun und Ahmed vertrieb sich die Zeit oft schlafend oder mit Spaziergängen im Camp. Schliesslich machte er die Bekanntschaft mit einem Jungen. «Er war so süss!», sagt er. «Das einzige was ich getan habe, war, mit ihm ein paar Worte zu wechseln und zu sagen, dass ich die Zeit mit ihm geniesse.» Irakische und syrische Flüchtlinge bekamen Wind davon und gingen mit Schlägen und Beschimpfungen auf Ahmed los.


Er beschloss erneut die Flucht und gelangte via Athen schliesslich nach Thessaloniki, wo er bei einem Freund in einer Flüchtlingswohnung Unterschlupf fand. Doch die Mitbewohner – ebenfalls Geflüchtete  – freuten sich nicht über den Zuzügler. Sie beschuldigten ihn des Diebstahls und meldeten den unerwünschten Gast der entsprechenden Flüchtlingsorganisation. Ahmed landete auf der Strasse und verbrachte zwei Nächte unter freiem Himmel.

Über einen Bekannten gelangte Ahmed schliesslich an die Supportgruppe Eclipse, die ihm eine Wohnung organisierte. «Eclipse hat mich gerettet» sagt er mit einem grossen Seufzer. Die Frage, was ihm an der Supportgruppe gefalle, kann er nicht beantworten. «Mir gefällt alles, was Eclipse macht, einfach alles!»

Aufgrund seiner unerlaubten Flucht von Lesbos wartet Ahmed immer noch darauf, dass sein Asyl­antrag wieder aufgenommen wird. Gegenwärtig hat er keinen Anspruch auf die Unterstützung des Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen oder auf ein Taschengeld. Vor wenigen Tagen wiesen ihn die Behörden an, in die Camps auf Lesbos zurückzukehren, damit sein Fall weiter behandelt werden kann. Mit der Unterstützung von Eclipse versucht er nun, eine andere Lösung zu finden.

Ahmeds Traum wäre es, in Griechenland bleiben und studieren zu dürfen. «Ich möchte Flugzeugingenieur werden», sagt er stolz. Bis es so weit ist, will er sein Griechisch und sein Englisch noch weiter verbessern. «Und natürlich Eclipse helfen», sagt er.


Redaktor Greg Zwygart hat Eclipse in Thessaloniki besucht und sich von der Supportgruppe überzeugen können. Bis 31. August 2018 sammelt die Mannschaft Geld, um Eclipse bei der Arbeit zu unterstützten. Jeder Betrag hilft: Sei es, um den Fahrpreis für den Bus nach Thessaloniki zu bezahlen, sei es für das Bereitstellen von Lebensmitteln oder das Organisieren von Unterkünften.

Mehr Informationen findest du auf unserer Website: mannschaft.com/eclipse


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