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CDU: Die zerrissene Partei

Der Bundesrat hat heute die Ehe für alle gebilligt. Formal zustimmen musste die Länderkammer nicht, sie hätte aber den Vermittlungsausschuss anrufen können. Damit können Homopaare künftig in Deutschland auch regulär Kinder adoptieren.

Während sich CDU-geführte Länder wie NRW und Sachsen und sogar der Freitstaat Bayern, wo die CSU allein regiert, enthielten, stimmte das von einem Jamaika-Bündnis regierte Schleswig-Holstein unter CDU-Führung mit Ja. Die Enthaltung vieler Unions-Länder darf aber nicht als heimliche Zustimmung missverstanden werden: CDU-Innenminster de Mazière hält das Gesetz zur Ehe für alle, wie es vergangene Woche im Bundestag beschlossen wurde, für verfassungswidrig, die CSU erwägt gar eine Klage. Immer wieder treten Schwule frustriert aus der Union aus.

An keinem Thema zeigt sich die Zerrissenheit der Union derzeit so deutlich wie bei der Eheöffnung und dem Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare. Das Spektrum reicht innerhalb der Partei von einer Mischung aus Dunkelbraun und Tiefschwarz bis zu einem lebensbejahenden Hellgrau.


[perfectpullquote align=“full“ cite=““ link=““ color=““ class=““ size=““]Und dann gibt es auch noch die, die sagen, dass sie Tiere lieben[/perfectpullquote]

Dass er zum erzkonservativen Teil der Partei gehört, bewies der CDU-Politiker Josef Rief aus dem baden-württembergischen Biberach am Mittwoch beim Besuch des Spielzeugherstellers Jamara in Aichstetten. Als er laut  Schwäbischer Zeitung beim Ortstermin auf seine Haltung zur Ehe für alle angesprochen wurde, wies er daraufhin, dass in Berlin schon über Partnerschaften mit mehr als zwei Personen diskutiert werde, und fügte hinzu: „Und dann gibt es auch noch die, die sagen, dass sie Tiere lieben.“

„Das ist nicht zu ertragen!“


Daraufhin soll es laut geworden sein in der Runde, weil die Äußerung Riefs als direkter Vergleich zwischen Homosexualität und dem sexuellen Missbrauch von Tieren gewertet wurde. Der Aichstetter Bürgermeister Dietmar Lohmiller (CDU) rief den Parteifreund zur Ordnung. „Das ist nicht zu ertragen. Nehmen Sie das bitte zurück!“, forderte er Rief dem Zeitungsbericht zufolge auf. Dessen Äußerung sei „unanständig“.

CDU
Ulrich Petzold (Foto: bundestag.de)

Auch Ulrich Petzold, CDU-Mann aus Sachsen-Anhalt, äußerte sich abfällig über homosexuelle Partnerschaften, wie im Protokoll zur Plenardebatte am vergangenen Freitag im Deutschen Bundestag nachzulesen ist, wo 80 Abgeordnete eine persönliche Erklärungen zu Protokoll gaben. Bei der Gelegenheit verglich Petzold gleichgeschlechtliche Partnerschaften mit der „Beistandsgemeinschaft“ zwischen einem Blinden und seinem Assistenzhund:

“[Eine gleichgeschlechtliche Gemeinschaft ist] fast immer eine Beistandsgemeinschaft, die durchaus wertvoll ist, aber nicht den Rang einer heterosexuellen Gemeinschaft erreicht … Eine Beistandsgemeinschaft besteht zum Beispiel auch, wenn eine Mutter ihr behindertes Kind bis zum Lebensende pflegt. Doch niemand würde auf die Idee kommen, dieses als Ehe zu bezeichnen. Eine Beistandsgemeinschaft besteht auch zwischen einem Blindenhund und dem Hilfsbedürftigen. Selbstverständlich besteht eine Beistandsgemeinschaft auch zwischen einem nach Deutschland eingereisten Muslim mit einer Hauptfrau und mehreren Nebenfrauen.“

Petzold fragte schließlich: „Weswegen genehmigen wir dann die gleichgeschlechtliche Ehe und verbieten die Vielehe?“ Diese Sorge treibt auch den CDU-Mann Christian Haase aus Ostwestfalen um, wie er nach der Abstimmung zu Protokoll gab: „Ich habe das Gefühl, dass es hier nicht mehr nur um die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare geht, sondern sehe die Gefahr, dass damit auch schleichend der Vielehe Tür und Tor geöffnet wird.“

Inzest und Vielehe

Auch die saarländische CDU-Ministerpräsidentin Kramp Karrenbauer hatte bereits 2015 ihre Ablehnung so begründet: „Wenn wir diese Definition öffnen in eine auf Dauer angelegte Verantwortungspartnerschaft zweier erwachsener Menschen, sind andere Forderungen nicht auszuschließen: etwa eine Heirat unter engen Verwandten oder von mehr als zwei Menschen“ Wegen dieser Äußerung stellte die Berliner Anwältin Sissy Brucker Strafanzeige wegen Volksverhetzung  gegen die CDU-Politikerin, weil sie die Ehe zwischen Männern bzw. Frauen „in die Reihe von Inzucht und Vielehe“ gestellt hatte.

[perfectpullquote align=“full“ cite=““ link=““ color=““ class=““ size=““]Sie wollen Deutschland zu einem sodomitischen Freudenhaus machen und die Grundfesten der Republik stückchenweise aushöhlen und beseitigen.[/perfectpullquote]
Soweit das Spektrum der CDU, das gar nicht weit weg ist von der AfD. Die bezeichnet in einem Facebook-Post vom Donnerstag den Beschluss zur Eheöffnung als „das fürchterliche Erbe der links-grünen 68er … das die allgemeine Wertebeliebigkeit und den nationalen Kulturzerfall schon lange zum Ziele“ habe. „Sie wollen Deutschland zu einem sodomitischen Freudenhaus machen und die Grundfesten der Republik stückchenweise aushöhlen und beseitigen“, heißt es in einem Aufruf der Rechtspopulisten des Kreisverbands Paderborn zu einer Kundgebung am 14. Juli in Paderborn, Titel „Ehe für alle = Ehe für keinen“.

[perfectpullquote align=“right“ cite=““ link=““ color=““ class=““ size=““]Ein weiter Weg, bis Respekt selbstverständlich ist.[/perfectpullquote]

Es gibt aber auch die ganz andere Seite der CDU – man könnte sagen: die christliche, von Nächstenliebe geprägte. Dazu zählt Verteidigungsministerin von der Leyen, die im Bundestag neben Kanzleramtschef Peter Altmaier als einziges CDU-Kabinettsmitglied für die Eheöffnung stimmte. Anfang des Jahres hatte sie im Rahmen eines Workshops zur sexuellen Vielfalt in der Bundeswehr für mehr Vielfalt geworben und war dafür heftig angegriffen worden. „Die Reaktionen und auch manche Wortwahl zeigen, dass es noch ein weiter Weg ist, bis Respekt selbstverständlich ist“, sagte die Verteidigungsministerin.

CDU
Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Daniel Günther (Foto: CDU)

Zu nennen ist auch der neue Ministerpräsident Schleswig-Holsteins, der sich schon länger für die komplette Gleichstellung von hetero- und homosexuellen Paaren einsetzt und von der ZEIT dafür den Titel „Küsten-Trudeau“ bekam, in Anspielung auf den homofreundlichen kanadischen Premier. Bei seiner Rede im Bundesrat begrüßte Daniel Günther heute die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Die Vielfalt von Lebensformen gehöre zu einer freien Gesellschaft dazu. Menschen, die füreinander Verantwortung übernehmen wollen, sollten mit allen rechtlichen Konsequenzen füreinander einstehen können, so der CDU-Ministerpräsident.

Coming-out in der CDU

Unterdessen hat die Gruppe offen schwuler Unions-Politiker um Jens Spahn, Stefan Kaufmann, Bernd Fabritius und dem Essener Oberbürgermeister Thomas Kufen Zuwachs bekommen. Mitte der Woche outete sich der Thüringer Landespolitiker Stefan Gruhner gegenüber der Osttühringer Zeitung als schwul. Der 32-Jährige ist seit sieben Jahren Landesvorsitzender der Jungen Union in Thüringen und seit 2014 Landtagsabgeordneter. Während seine CDU-Kollegen aus Sachsen – etwa Klaus Brähmig und Arnold Vaatz, der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion – nach der Entscheidung zur Ehe für alle argumentierten: „Mit der heutigen Entscheidung wird nicht die Ehe für alle eingeführt, sondern die Ehe für Mann und Frau abgeschafft“, sieht Gruhner die Sache komplett anders: „Mit der Ehe für alle [werden] die Institutionen Ehe und Familie […] gestärkt, in einer modernen, zeitgemäßen Interpretation.“


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