2015 berichtete Mario Bonfante, ein ehemaliger Priester, der wegen seiner offen gelebten Homosexualität entlassen worden war: Es gebe ein Kloster, das Venturini Institute in Trento, in das Priester mit „unerwünschten sexuellen Neigungen“ geschickt werden. Was er beschrieb, klang nach der von Medizinern als gefährlich eingestuften Konversions-Therapie. Was wissen Sie über die Vorgänge in diesem Kloster?
Ich kenne viele dieser Verbände in der Diözese, sie alle sind brandgefährlich für die Psyche ihrer Mitglieder. Sie verwenden Pseudopsychologie und Pseudowissenschaft, um Homosexuelle zu „heilen“. In Italien oder in Polen gibt es hierfür den katholischen Verein „Courage“, der Konversionstherapien anbietet. Die jetzige polnische Regierung hat ihm sogar eine Auszeichnung verliehen – für die Förderung der Moral! Oder denken Sie an die Vatikan-Experten und Psychologen Joseph Nicolosi aus den USA und Tony Anatrella aus Frankreich. Anatrella war sogar Genderexperte unter Franziskus. Dabei haben mehrere schwule Gläubige aus Frankreich ihn bezichtigt, er hätte sie während der Konversionstherapie sexuell missbraucht. Außerdem fördert die Kirche weltweit die Kriminalisierung von Homosexuellen – natürlich nicht lauthals.
Nehmen Sie das Urteil der Glaubenskongregation von 1992: Hier behauptet die Kirche, man müsse nur einfach seine sexuelle Orientierung verbergen, dann würde man auch nicht verfolgt. Unter dem Titel Einige Anmerkungen bezüglich der Gesetzesvorschläge zur Nicht-Diskriminierung homosexueller Personen heißt es: „Welche sexuelle Veranlagung jemand hat, ist anderen normalerweise nicht bekannt – solange sich die Betroffenen nicht öffentlich dazu bekennen oder es durch ihre Verhaltensweisen offen zeigen. Normalerweise tun homosexuell veranlagte Personen, die den Willen haben, ein keusches Leben zu führen, anderen ihre Veranlagung nicht kund, weshalb sich auch das Problem der Diskriminierung bei der Arbeits- oder Wohnungssuche meist erst gar nicht stellt“). Sie rät Christen, nicht an Homosexuelle zu vermieten, und schwule Lehrer, Professoren oder Militärs sollten laut der Glaubenskongregation ihren Job verlieren, weil sie eine Gefahr darstellen. *
Suchen Sie heute die Nähe zu anderen religiösen Institutionen oder meiden Sie sie?
Ja, ich suche auch die Nähe zu anderen Religionen, den Dialog und das Wissen, das sollte der Kern aller Religionen sein. Sich kennen heißt sich helfen. Man muss es heute wieder stärker betonen: Ignoranz ist gefährlich, sie tötet, das hat nichts mit Religion zu tun. Die asiatischen Religionen haben zum Beispiel ein großes geistiges Erbe. Es macht mich glücklich, dass sich viele Menschen im Westen die buddhistische Lehre vom gegenseitigen Respekt zu Herzen nehmen.
[perfectpullquote align=“full“ cite=““ link=““ color=““ class=““ size=““]Viele Staaten haben schlichtweg Angst vor der Kirche.[/perfectpullquote]
Sie leben in Spanien, wo 2005 die Ehe gegen den Protest der katholischen Kirche geöffnet wurde. Wie mächtig ist die Kirche dort wirklich?
Die katholische Kirche ist eine mächtige internationale Organisation. Die Staaten und die Gesellschaften brauchen Mut, um den missbräuchlichen politischen Einfluss der Kirche abzuwehren, aber auch, um der Kirche dabei zu helfen, wieder eine spirituelle Gemeinschaft zu sein. Doch viele Staaten haben schlichtweg noch zu viel Angst vor der Kirche.
Sie haben im Oktober 2015 auf einer Pressekonferenz im Vatikan bekanntgegeben, dass Sie homosexuell sind. Dass Sie daraufhin suspendiert worden, war zu erwarten. Rückblickend betrachtet: Wäre es möglich gewesen zu bleiben und zu versuchen, die Kirche von innen zu verändern?
Nein, weitermachen wäre Heuchelei gewesen. Jede radikale Revolution braucht ein Zeugnis und mit meinem Buch „Der erste Stein“ habe ich vor der Welt, aber auch mir selbst Zeugnis abgelegt, das persönliche Zeugnis meiner eigenen Revolution und Befreiung. Man kann die Kirche nicht von innen heraus und in kleinen Schritten ändern. Das ist eine naive Illusion. Viele Priester geben sich dieser Täuschung hin und machen ihr ganzes Leben mit in diesem homophoben und frauenhassenden System – ein Kampf gegen Windmühlen.
Teil 3: „Herr Grassi wäre besser beraten, weniger den Papst zu küssen“